Der Palast der Grafen von Fronteira in Lissabon

Oder die Entdeckung des blauesten Blaus

Abseits der Touristen-Trampelpfade Lissabons und daher von vielen, die diese Traumstadt besuchen, unentdeckt, liegt ein Märchen-Palast, der immer noch in Privatbesitz ist. Erbaut zwischen 1650 und 1675 vor den Toren der portugiesischen Hauptstadt und inzwischen längst von ihrem Häusermeer geschluckt, liegt er heute im Stadtteil Benfica, nur ein paar Steinwürfe von Portugals berühmtestem Fußballstadion entfernt.

Ich musste sehr insistieren, diesen magischen Ort zu besuchen, als ich im vergangenen September (als die Welt noch nichts von einem hinterhältigen Virus aus Wuhan wusste) mit einer Gruppe von drei Freunden in Lissabon verweilte. „Bitte nicht noch ein Palast“, war die rebellische Protestreaktion, als ich vorschlug, hierher zu kommen. Dazu muss gesagt werden, dass wir uns gerade auf dem Rückweg vom Besichtigungsmarathon der Paläste von Sintra befanden. Und erstens war dort der Massenandrang im meistbesuchten Monument Portugals so störend, dass man kaum etwas in Ruhe anschauen konnte und zweitens ist der Hauptpalast von Sintra (Palacio Nacional de Pena, das „portugiesische Neuschwanstein“) ein derartig bombastisches Stilgewitter, dass er sogar mir zu kitschig ist. Entsprechend palastgesättigt waren also meine drei Begleiter.

Aber ich ließ nicht locker, denn ich erinnerte mich an die wunderbaren Bilder in der Verfilmung von Lope de Vegas Drama „El Perro del Hortelano“ (Der Hund des Gärtners). Dieser spanische Kinofilm von 1996 war im Fronteira-Palast und seinem verzauberten Garten gedreht worden. Als ich dann meinen Freunden versprach, dass sie dort auch das blaueste Blau der Welt entdecken würden, gab es endlich Zustimmung und im letzten Moment ein haarscharfes Einfädeln in die Ausfahrt „Benfica“.

Wenig später schreiten wir durch das schmiedeeiserne Tor und stehen zuerst vor dem – nachmittags geschlossenen – roten Hauptpalast. Während die Reisegruppe anfangs über „falsches Timing“ meckert, bin ich eher erleichtert, dass die Residenz geschlossen ist. Denn Dom Pedro de Mascarenhas, der Marques de Fronteira, hatte seinen Palast während des portugiesischen Unabhängigkeitskriegs gegen die Spanier (1640 – 1668) erbauen lassen. Der Hauptsaal des Palasts, auch „Saal der Schlachten“ genannt, zeigt in riesigen Azulejo-Bildern mit Liebe zum Detail die siegreichen Schlachten der Portugiesen gegen die Spanier und meine drei Begleiter sind – Spanier….

Wir wenden uns also dem Garten und der blauen Palast-Galerie zu. Das ganze Fronteira-Anwesen ist auch deshalb ein besonderes Juwel, weil es zu den ganz wenigen Monumenten Lissabons gehört, die vom apokalyptischen Erdbeben 1755 verschont wurden blieben und als emblematisches Renaissance-Bauwerk bestens erhalten ist. Der älteste Teil des Komplexes ist der Kleinste: die Familien-Kapelle aus dem 16. Jahrhundert.

Dieses entzückende Tempelchen ist nicht nur mit gewagten Kachelbildern verkleidet, die Fabelwesen und exotische Tiere zeigen, sondern hat innen auch eine einzigartige Kuppel mit Intarsien und geometrischen Formen in verschiedenen Blautönen, die eher an eine kleine Moschee in Samarkand erinnert als an eine christliche Kirche. Die Außendekoration mit ihren exotischen Formen wirkt durch indische Tempel beeinflusst und dies könnte tatsächlich der Fall sein, denn der Marques de Fronteira war eine zeitlang auch Vizekönig Portugals in Indien.

Und er und seine Nachfahren scheinen zu viele exotische Pflanzen gesammelt zu haben, um sie hier präsentieren zu können, denn in einigen Ecken wirkt das Anwesen wie die Miniversion eines Botanischen Gartens. Da sieht man Ficus-und Magnoliengewächse mit ausladenden Ästen und dunkel schimmernden Blättern, Bananenstauden und andere Flora-Vertreterinnen aus Portugals Kolonien.

Doch hinter den dekorativ wuchernden Pflanzen in verschiedensten Grüntönen taucht sehr dominant wie ein auf die Erde geholter Himmel dieses Blau auf. Das Blau der Fassaden der Veranda und des angrenzenden Brunnen-Pavillons. Ein außergewöhnlich intensives Blau. Selbst Manuel, der Kunsthistoriker, ist tief beeindruckt von dieser Fassadenfarbe und meint, Yves Klein wäre ein Dreck dagegen, denn dies sei nun echt das „blaueste aller möglichen Blaus“.

Und obwohl es eine sehr dominante Farbe ist, wechselt sie doch leicht den Ton im Licht der langsam untergehenden Nachmittagssonne. Während sich dieser Zaubergarten noch einmal kurz ganz mit blendendem Licht anfüllt, wirkt das Blau im Schatten schon fast violett.

Wir haben das Glück, dass es an diesem späten Nachmittag im September nur sehr wenige Besucher gibt, so dass wir ganz entspannt den blauen Renaissance-Pavillon mit seinen meterhohen Kachelbildern und der Galerie der Könige entlang wandeln können. Fast alle Könige Portugals sind hier in Marmorbüsten verewigt und schauen zusammen mit den Statuen an den Treppentürmen über das Gartengelände Richtung Hauptpalast. Beim Schreiten durch diese Königsgalerie fühlen wir uns für Momente selbst wie Könige.

Die Kachelbilder (Azulejos) unter uns im Erdgeschoss der Galerie sind das wichtigste Dekorationselement im Palacio Fronteira und seinem Garten. In und an den Hauptbauten zeigen sie eher patriotische Motive und sind repräsentativer Natur: Im Hauptpalast breiten sich historische Panoramen aus wie die erwähnten Schlachten gegen die Spanier, am Brunnen-Pavillon sind die wichtigsten Vertreter der Dynastie der Graen von Fronteira als kühne Reiter in Lebensgröße dargestellt. Rund um die Kapelle im „Venus-Garten“ zeigen die barocken Azulejos mythische Fabelwesen, während in entlegenen Winkeln des Gartens, auf den Mauern im Osten und Süden auch die Sternzeichen und Jahreszeiten mit reichlich Fabeltieren, Englein und Blumengirlanden präsentiert werden. Wir vergessen tatsächlich die Zeit, bis ein Klatschen des Wächters die wenigen Besucher sanft hinaus komplementiert, weil die Grafenfamilie vielleicht am Abend in ihrem Garten noch eine Party feiern will.

Dass der Palast noch bewohnt wird, daran wird man auch auf dem Weg zum Ausgang erinnert, weil da mitten zwischen barocken Kachelbildern plötzlich noch Farbeimer und Behälter mit profanem Werkzeug auf einer Fensterbank stehen.

Der Garten des Palacio Fronteira ist heute nur mehr eine kleine, überraschende Oase inmitten des Häusermeeres im Norden Lissabons. Aber es lohnt sich wirklich, an einem späten, von Licht durchfluteten Nachmittag hier vom Lissabon des 17. Jahrhunderts vor dem großen Erdbeben zu träumen, als es noch die Königin des Atlantiks war.

Adresse:
Largo de Sao Domingo de Benfica Nr. 1
Tel. ++351 217782023
Metro-Station: Jardim Zoologico

Öffnungszeiten:
Hauptpalast (von außen rot) nur vormittags und nur mit Führung zu besichtigen: um 10:30, 11:00, 11:30 und 12:00

Der Garten mit dem tiefblauen Pavillon ist geöffnet von 10:30 – 13:00 und von 14:30 – 17:00

Eintritt: Führung Hauptpalast: 7,50 EUR; Eintritt nur Garten mit Kapelle und blauem Pavillon: 3 EUR

Link: www.fronteira-alorna.pt