Titicacasee in Gefahr

Der Titicacasee ist ein mystischer Ort. Der erste Inka soll vom Sonnengott auf eine seiner Inseln gesendet worden sein und auf seinem Grund, so will es die Legende, liegt der sagenumwobene Schatz der Inka. Und dem Riesenfrosch, der nur hier vorkommt, werden heilende Kräfte zugeschrieben. Doch das Andenmeer ist in Gefahr. Verschmutzung und Klimawandel setzen ihm zu.

Strahlend blau leuchtet der Titicacasee unter einem ebenso blauen Himmel vor dem Panorama der Anden mit ihren mehr als 6000 Meter hohen, schneebedeckten Gipfeln. Er liegt auf 3840 Metern Höhe, ist der höchste schiffbare See der Welt und liefert Wasser für rund drei Millionen Anwohner. Und Nahrung. Zumindest bisher. Doch das ändert sich gerade.

„Das ist ein echtes Problem. Den Fisch Karachi fangen wir immer weniger. Den Omante gibt es gar nicht mehr, Forelle geht auch zurück. Das beunruhigt mich. Als ich ein Kind war, konnten wir noch viele Arten fangen, aber heute geht uns kaum noch etwas ins Netz“, berichtet Teodosio Mamani Canllagua. Der Bolivianer wohnt in einer kleinen Hütte direkt am Ufer des Sees. Der neunfache Vater lebt davon, Fische zu fangen, zu räuchern und zu verkaufen. Er hat durchaus eine Erklärung dafür, warum er immer weniger fängt, wenn er auf den See hinausfährt. Zum einen liegt es daran, dass zu viel und mit zu engen Maschen gefischt wird. Aber nicht nur. „Die Bucht der nächsten Stadt ist verschmutzt, die Abwässer werden ungeklärt in den See geleitet. Der Gestank ist besorgniserregend. Auch alle Abwässer der Großstadt El Alto fließen über den Fluss in den See. Er wird nicht geschützt.“

Teodosio Mamani Canllagua mag ein einfacher Mann sein, aber er liegt mit dieser Analyse auf einer Linie mit Umweltschützern und Wissenschaftlern aus aller Welt. Einer davon ist Alberto Lescano Rivero aus Boliviens Nachbarland Peru. Er hat sich der internationalen Stiftung Global Nature Fund angeschlossen, die sich weltweit für die Erhaltung von Gewässern einsetzt. „Wir haben keine Kläranlagen, die das Abwasser reinigen könnten. El Alto hat eine Million Einwohner und deren gesamtes Abwasser gelangt in den Titicacasee. Dort in der Bucht gibt es keine Fische mehr, auch die Flora schwindet und es gibt Probleme mit der Gesundheit der Menschen.“ Und die Bevölkerung in den Städten rund um den Titicacasee wächst. Aber es sind längst nicht nur die Abwässer der Städte, die den See gefährden. „Im Norden des Titicacasees gibt es mehr als 5000 Menschen, die Gold abbauen. Keine Firmen, sondern einfache Menschen. Sie verwenden dafür Quecksilber und dieses Quecksilber gelang direkt in den See. In dieser Zone wurden Schwermetalle in den Fischen festgestellt“, erklärt Lescano Rivero.

Die wohl bekannteste Volksgruppe am Titicacasee sind die „Uros“. Ein Teil von ihnen lebt wie eh und je auf schwimmenden Schilfinseln. Wer sie besuchen will, muss mit einem Boot durch das von Algen grün gefärbte, stinkende Wasser der Bucht von Puno fahren. Für Gäste ist es ein merkwürdiges Gefühl, auf dem schwankenden Boden der Schilfinsel zu laufen, doch Mario Mimani kennt es von klein auf nicht anders. Seit Jahrhunderten leben die Uros auf den schwimmenden Inseln, die mit Stricken auf dem Grund des Sees verankert sind. „Die ersten Uro-Familien sind damals vom Festland auf den See geflohen um nicht von den Inkas und später den Spaniern unterworfen zu werden. Sie entkamen mit Flößen aus Totora, also aus Schilf und bauten dann aus diesem Material Inseln“, berichtet Mimani. Rund 2000 Uros leben heute noch auf Schilfinseln im See. Auch sie haben mit dem Rückgang der Fischbestände und der Verschmutzung des Wassers zu kämpfen. Doch noch etwas anderes treibt Mario Mimani um: Das Verschwinden des Totoras. „Wir müssen immer weiter fahren, um genug davon zu finden.“ Die Uros bauen nicht nur ihre Inseln und Hütten aus dem Schilf, sondern sie essen auch dessen Wurzeln. Das ist etwas, wovon der Umweltschützer Alberto Lescano Rivero dringend abrät. Denn auch in dem Schilf reichern sich Schwermetalle an. Es wird traditionell als Kuhfutter verwendet – und es wurde auch in deutschen Medien schon über Fälle berichtet, in denen Kühe daran verendet sind. Vor allem aber gelangen die Schwermetalle so in die Nahrungskette. „Sie haben Auswirkungen auf das Fleisch dieser Kühe. Menschen dürfen dieses Fleisch nicht mehr essen, denn es kann sie krank machen“, erklärt Lescano Revero. Quecksilber beispielsweise greift das zentrale Nervensystem an, es ist ein Ultragift, das die Weltgemeinschaft eigentlich aus der Umwelt entfernen will.

Was wäre nötig, um aus dem Titicacasee wieder ein einigermaßen sauberes Gewässer zu machen? Manche der Antworten liegen auf der Hand: Die Goldschürfer müssten über die Schädlichkeit des Quecksilbers, das auch ihre eigene Gesundheit gefährdet, aufgeklärt werden. Und natürlich braucht es Kläranlagen. Für die Bucht von Puno, einer Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern auf der peruanischen Seite des Sees, gäbe es noch eine andere Lösung. Dort wurde ein Damm vom Ufer zu einer kleinen Insel gebaut. „Man müsste diesen Damm einreißen und durch eine Brücke ersetzten. Dann könnte die Strömung, die an dieser Stelle floss, wieder durch die Bucht von Puno zirkulieren und sie säubern. Der Strom brächte Sauerstoff mit sich. Damit wäre das Problem zumindest in Puno annähernd gelöst“, sagt Lescano Revero.

Diese Maßnahme allerdings wäre nicht ganz billig und noch ist die Bereitschaft, viel Geld für den Schutz des Titicacasees auszugeben, gering. Doch der öffentliche Druck, mehr für den Schutz des Titicacasees zu tun, wächst. Als 2016 rund 10.000 Exemplare des Titicaca-Riesenfrosches tot ans Ufer gespült wurden, gab es erstmals größere Proteste. Das lag vielleicht auch daran, dass dieser Frosch für die Andenbewohner eine besondere, mystische Bedeutung hat. Bei dem jährlichen Volksfest am See, bei dem zigtausende Peruaner und Bolivianer der „Mutter Erde“ Opfergaben darbringen, ist der Frosch allgegenwärtig. „Es ist ein alter Mythos, der Reichtum verspricht. Das hat es schon immer gegeben, es gibt viele Sagen, die sich um den Frosch ranken,“ erzählt uns eine der Marktfrauen, die die Frösche verkaufen. Womöglich ist auch der Frosch selber, der angeblich einen halben Meter lang werden kann, bald nur noch eine Legende. „Diese Art verschwindet. Zum einen durch die Verschmutzung des Sees. Zum anderen womöglich aber auch durch den Klimawandel. Die Erderwärmung ist noch ein Problem, das dem See zusetzt“, erklärt Lescano Rivero.

Der Fischer Teodosio Mamani Canllagua hat von dem, was der Klimawandel ist und was ihn verursacht, nur eine vage Vorstellung. Doch um die Auswirkungen zu sehen, muss er nur auf den steinigen Strand des Sees schauen, der Jahr um Jahr breiter wird. Der Wasserspiegel des Titicacasees sinkt. „Es beunruhigt uns sehr, dass der See sich immer mehr zurückzieht. Vielleicht gibt es diese Trockenheit noch woanders, das wissen wir nicht. Und es scheint mir, als führten die Bäche weniger Wasser und als ob die Quellen austrocknen würden. Wir wissen nicht, woran es liegt, aber unter der Trockenheit leidet auch die Landwirtschaft.“

Alberto Lescano Rivero könnte Teodosio mehr zu den Ursachen sagen. Auch er beobachtet seit Jahren, dass der See schrumpft. Der Wasserspiegel liegt im Moment 1,25 Meter unter dem normalen Niveau. „Es liegt erstens daran, dass es zu wenig Regen gibt. Zweitens versiegen die Bäche, die von den Gletschern aus den Bergen gespeist werden, denn diese sind durch die globale Erwärmung zurück gegangen. Und es gibt eine stärkere Sonneneinstrahlung, die zu mehr Verdunstung führt. All das lässt den See schrumpfen. Das ist alarmierend!“, so Lescano Rivero.

Nun wird der Titicacasee, der an der tiefsten Stelle knapp 300 Meter tief ist und mit 8.300 Quadratkilometern fast dieselbe Fläche wie Korsika aufweist, nicht von heute auf morgen austrocknen. Aber eine andere Gefahr ist sehr real. „Es gibt eine Studie der Vereinten Nationen, die besagt, dass, wenn wir nicht umsteuern, das Wasser des Titicacasees so weit sinken wird, dass er in drei Teile getrennt wird. In Bolivien gab es den Popo, einen See, der vom Titicacasee gespeist wurde. Das war der größte See Boliviens. Und er ist vollständig ausgetrocknet!“, berichtet der Wissenschaftler.

Das war im Jahr 2015, nachdem der Wasserstand des Titikakasees so tief gefallen war, dass er den Popo nicht mehr speisen konnte. Auch anderswo auf der Welt gibt es Seen, die verschwinden oder bereits verschwunden sind. Der Aralsee in Zentralasien ist inzwischen fast vollständig ausgetrocknet, der Chadsee in Afrika schrumpft alarmierend. Die Fläche des Titikakasees ist heute 15 Prozent kleiner als noch im Jahr 2003. „In der Zukunft wird es einen Moment geben, an dem man fragen wird: Warum wurde nichts getan, um diesen wunderschönen See zu erhalten?“

Teodosio Mamani Canllagua wird es wohl nicht mehr erleben, dass der Titicacasee in mehrere Gewässer zerfällt. Den Fischer, der vom See lebt, treiben andere Sorgen um. „Ein sauberer See beschert uns ein gesundes Leben. Aber wenn er verschmutzt ist, wenn das Wasser verseucht ist und uns vergiftet, dann können wir nicht existieren. Das Wasser des Titicacasees ist unser Leben.“

Noch ist das Wasser der kleinen Bucht, an der Teodosio Mamani Canllagua mit seiner Familie lebt, sauber genug, um es trinken zu können. Doch wenn die Bevölkerung weiter so wächst wie bisher und keine Kläranlagen gebaut werden, wenn weiter Goldsucher ihre Chemikalien einfach in den See spülen, dann wird sich das auch in dieser Bucht des Titicacasees ändern. So, wie in den letzten Jahren schon an vielen anderen Stellen des „Andenmeers“.

Foto: Christian Nusch

Titel: Bolivien Kompakt
Autorin: Katharina Nickoleit
ISBN: 978-3-89662-588-5
Seiten: 252
Verlag: Reise Know-How
6. aktualisierte Auflage 2017
Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter: www.katharina-nickoleit.de