So schmeckt der Sommer

Der Sommer ist vorbei. Seit Tagen regnet es (selbst in meiner Freizeit laufe ich in langer Hose herum) und nachts fällt das Thermometer auf unter zehn Grad. Unter zehn Grad – im August! Aber wenn mir jetzt schon die kurzen Hosen oder das Grillen im Park fehlen, bleibt mir wenigstens eins: der Geschmack des Sommers. Auf meiner Zunge schmecke ich noch immer die Frische eines Gebirgsbachs, das Aroma reifer Stachelbeeren und frisch gemähten Grases und den süß-säuerlichen Saft praller, leuchtendgrüner Äpfel. Ach, Sommer…

Álvarez y Díez Sauvignon Blanc 'Gorrión' Rueda 2013
Álvarez y Díez Sauvignon Blanc ‚Gorrión‘ Rueda 2013

Was mir trotz Temperatursturz dieses anhaltende Vergnügen verschafft? Der Spatz. Der Spatz? Ja, der Spatz: El gorrión. So heißt ein Wein, den ich zum ersten Mal Anfang Juni getrunken habe und seitdem immer wieder genieße: ein Sauvignon Blanc von der Bodega Álvarez y Díez aus dem Anbaugebiet Rueda. Dort, in den 600 bis 800 Meter hohen Lagen von Nava del Rey, gut 50 Kilometer südwestlich von Valladolid, sind die Böden kalkstein- und kieshaltig. Dort fühlen sich Rebsorten wie Verdejo, Viura und Sauvignon Blanc besonders wohl. Die Weine aus diesem Anbaugebiet haben in den letzten Jahren einen beispiellosen Siegeszug angetreten. Es gibt kaum noch Tapasbars in Spanien, die keinen weißen Rueda anbieten.

Álvarez y Díez ist eine der bekanntesten der mehr als 50 Bodegas in Rueda. Der „Gorrión“ stammt aus verschiedenen Lagen des Weinguts, die von den hohen Tag- und Nacht-Temperaturunterschieden geprägt sind. Diese Schwankungen verleihen den Trauben die einzigartige Frische eines Gebirgsbachs an einem lauen Sommermorgen. Aber der Reihe nach.

Der Wein fasziniert schon allein durch sein leuchtendklares Gelbgrün, das Sonnenstrahlen gleich in das Glas fließt. Hier entwickelt sich nicht nur irgendein Bouquet, sondern ein vibrierendes Potpourri mit Noten von reifen Zitrusfrüchten, die sich mit Stachelbeere, grünem Apfel und einem Anklang an Cassis und Papaya paaren – nicht zu vergessen den weißen Pfeffer. Kenner vergleichen diesen Rueda auch gerne mit einem Sancerre (obwohl der in der Regel deutlich teurer ist). Am Gaumen wird diese pralle, dichte Frucht noch von einer leichten Mineralik und einer kühlen Säure ergänzt – und eben den leichten Noten von frisch gemähtem Gras. Dabei ist diese Melange herrlich ausgewogen, überhaupt nicht aufdringlich, fast schon fein. Aber damit nicht genug: Zum Abschluss beschwingt dieser Wein noch einmal durch seinen jugendlich animierenden Nachhall, den würzig-salzigen Abgang und die überraschende Länge dieses furiosen Finales.

Eine überraschende Länge kann man dem deutschen Sommer zwar nicht bescheinigen, aber dafür waren seine Tage und Nächte – begleitet von diesem Wein – umso schöner. Und jetzt, da ich ihn an einem allzu herbstlichen Spätsommerabend trinke, lässt er mich zumindest fest daran glauben, dass bald der nächste Sommer kommt. Bestimmt!

Lars BorchertText + Fotos: Lars Borchert

Über den Autor: Lars Borchert ist Journalist und schreibt seit einigen Jahren über Weine aus Ländern und Anbauregionen, die in Deutschland weitestgehend unbekannt sind. Diese Nische würdigt er nun mit seinem Webjournal Der Wein-Vagabund. Auf caiman.de wird er ab jetzt jeden Monat über unbekannte Weine aus der Iberischen Halbinsel und Lateinamerika berichten.