Lissabon – Die Wunderbare am Fuße des Tejo

Es soll tatsächlich Menschen geben, die Lissabon nicht mögen. Ja, dem ist wirklich so. Sie beginnen dann die Sätze gerne mit einem „zu“, also etwa zu hektisch, zu groß, zu laut, zu schmutzig, zu heiß, zu kalt, zu irgendwas. Hauptsache zu eben. So richtig verstehen mag ich das aber nicht. Wer Städte, egal wo die auch sein mögen, mit einem „zu“ beschreiben muss, der sollte eigentlich seine freie Zeit auf dem Land verbringen. Nicht aber in einer Stadt. Denn in Städten ist irgendwas doch immer zu. Und das ist eigentlich nur schlimm, wenn es sich eben nicht um eine Präposition handelt, sondern der Kiosk um die Ecke längst seine schweren Holzbalken vorgeschoben hat und man nichts mehr zu trinken bekommt.

Aber zurück zu Lissabon. Mensch, wie können die nur? Lissabon, Hauptstadt Portugals, dem letzten Land vor dem großen Atlantik, ist einfach eine Erscheinung. Allein dieses Licht, das muss man mögen. Morgens für ein paar Augenblicke so schön weich bis der Planet von oben bald ordentlich und furchtbar unbarmherzig auf die Bewohner und Touristen knallt. Böswillige würden es dann „zu heiß“ nennen, aber da oftmals eine leichte Brise vom Tejo herüber weht, ist das bestens auszuhalten, auch wenn man nur kurz in der Stadt weilen sollte. Bis es dann wirklich wärmer und gleißend hell geworden ist, sollte man sich wenigstens ein klein wenig bewegt haben. Zum ersten Kaffee versteht sich. Das kann man in Lissabon eigentlich überall wunderbar und in annehmbarer Qualität machen, besonders gut aber in Belém, dem Viertel, wo die Morgensonne das Kloster dos Jerónimos regelmäßig in weiches Licht rückt.

Viel berühmter als für den Turm oder das Kloster ist der Stadtteil jedoch für seine kleinen Naschereien, die man offiziell Pastéis de Nata nennt und in der Antiga Fábrica de Pastéis de Belém bekommt (die aber auch überall in der Stadt verkauft werden). Weil sie jedoch genau aus diesem Viertel kommen, nennen sie alle nur Pastéis de Belém. Mir ist eigentlich egal, wie man die kleinen Törtchen nennt, denn wichtiger ist der Geschmack. Und der, ich verrate es sofort, ist unübertroffen gut. Die Cremetörtchen aus Blätterteig mit dem süßen Eigelb-Vanille-Inneren sind ein ganz besonderer Genuss und machen aus einem schönen Morgen einen noch schöneren.

Angeblich sollen nur drei Patissiere das gut gehütete Geheim-Rezept kennen, das man einst den benachbarten Mönchen abluchste und welches jetzt Grundstock eines veritablen und, nicht unwichtig, äußerst rentablen Familienunternehmens ist. Ofenwarm müssen sie serviert werden, damit der erste Bissen auch zur Geschmacksexplosion taugt. Und das gelingt, ehe sich der goldgelbe Inhalt scheinbar in Luft aufgelöst hat, quasi ohne zu schlucken. Sehr fein ist das und der Kaffee trägt sein übriges dazu bei, dass man bester Laune den Naschtempel verlässt.

Anschließend kann man dann das Touristenprogramm herunter spulen – eine Fahrt mit der Trambahn 23 soll sehr bliebt sein, von der Burg oben und dem stählernen Lift Santa Justa von Eiffel im Zentrum hat man eine tolle Aussicht über die Dächer Lissabons und vielleicht ist ja auch noch ein Museum geöffnet – oder einfach den Reiseführer samt Stadtplan weglegen und sich ein bisschen treiben lassen. Hektisch ist nämlich maximal das Touristenprogramm, nicht aber die Stadt. Das liegt sicherlich auch an dem vielen Licht, dass die Lissabonner tagein tagaus haben und das glücklich machen soll, selbst wenn die Stadtbewohner immer ein wenig melancholisch dreingucken.

Der Elevador de Santa Justa verbindet die beiden Stadtviertel Baixa und Chiado und weiter in dieser Richtung liegt das Bairro Alto. In den engen verwinkelten Gassen findet man tagsüber vor der Sonne Schutz und saugt das träge Leben der Stadt auf. Auf dem Largo de Camões sitzt man dann zwar nicht alleine in den Plastikdrahtstühlen, die schon bessere Zeiten erlebt haben, aber trotzdem bequem unter dem Schatten der mächtigen Bäume. Kaffeezeit. Oder die der gegrillten Sardinen, deren Existenz besonders im Juni gehuldigt wird. Dann umweht einen in der ganzen Stadt der permanente Geruch gegrillter Sardinen, die hier vor allem während des Sommers ständig und überall verzehrt werden. Selbst ich als eher leidenschaftsloser Fischesser finde Gefallen an diesen kleinen Dingern, die mit einem nicht zu trockenen Weißwein schlicht unschlagbar sind.

Wer dann noch kann und mag, der sollte der Rua do Loreto ein paar Meter abtrotzen und nach ein paar Minuten links in Richtung Miradouro de Santa Catarina abbiegen. Von dem kleinen Aussichtspunkt hat man einen herrlichen Blick hinüber auf Belem, den Tejo und die Ponte 25 de Abril, jene Brücke, die ein klein bisschen an eine Miniaturausgabe der Golden Gate Bridge in San Francisco erinnert. Aber keine Sorge, spätestens wenn man hier am kleinen grünen Kiosk einen Sitzplatz gefunden hat (ja, hier kann es bei schönem Wetter tatsächlich etwas voller werden, aber Gedränge sieht anders aus) und das kühle Sagres so einladend gelb aus seinem Glas leuchtet, dann weiß man sofort, das hier ist Portugal und nicht die USA. Das Sagres ist sogar ganz gut trinkbar, was schwere Folgen haben kann. Denn dieser Mix ist teuflisch: Schöner Platz, nettes Ambiente, süffiges Bier, da muss man schon recht standhaft bleiben, um nicht ganz zu versacken. Trotzdem, man sollte hier verweilen und den Sonnenuntergang erleben. Dann leuchtet die stahlgerippte Ponte nämlich noch einmal dunkelrot.

Wer nun eine kleine Abkühlung benötigt, hat Glück, denn er befindet sich ja im Vergnügungsviertel Bairro Alto. Da, wo vorhin gar kein Leben in den kleinen Gassen stattfand, öffnet jetzt eine Bar nach der anderen, dazwischen Platten- und Klamottenläden und spät nachts dann auch der eine oder andere Club. Zugegeben, insbesondere von Donnerstag bis Sonntag ist es hier nach Sonnenuntergang mit der Ruhe vorbei. Doch wer die heiteren Nächte von Lissabon einmal erleben möchte, der kommt gar nicht umhin, ein bisschen Gedränge zuzulassen. Denn die nächste Trägheit kommt bestimmt. Spätestens nach Sonnenaufgang. Irgendwann.

Fotos: Andreas Dauerer