Juan Martínez Montañés – Gott des Holzes

Sevilla feiert Spaniens größten Bildhauer mit einer spektakulären Sonderausstellung im Museum der Schönen Künste

Cristo de la Clemencia, Kathedrale von Sevilla

An einem August-Tag im Jahr 1591 wurde in Sevilla, der Wirtschafts- und Kulturhauptstadt des spanischen Weltreiches, ein 23-jähriger Mann wegen Erdolchung eines Mitbürgers bei einem Duell zu zwei Jahrzehnten Kerkerhaft verurteilt. Durch Zahlung einer hohen Geldsumme an die Witwe des beim Duell erstochenen Luis Sánchez konnte sich der Verurteilte jedoch nach knapp zwei Jahren aus der Haft freikaufen und endlich wieder seiner Berufung widmen: der Schöpfung von Christus- und Madonnenskulpturen aus Zedernholz. Seine Karriere, die durch den Totschlag eines Widersachers beim Duell fast beendet worden wäre, bevor sie richtig Fahrt aufnahm, sollte durch seinen Jähzorn und seinen Hochmut einige Rückschläge erfahren. Doch am Ende sprachen seine Werke für sich und er wurde zum „spanischen Michelangelo“, zum genialsten Bildhauer in der Geschichte des Landes.

Juan Martínez Montañés (1568 – 1649) wurde schon zu Lebzeiten weltberühmt. In Lima, Bogotá und Mexiko, den Hauptstädten der spanischen Vizekönigreiche in Amerika, bestellte man ganze Hochaltäre bei ihm, die über den Atlantik verschifft wurden. In seiner Heimatstadt Sevilla nannte man ihn anerkennend den „Dios de la Madera“ („Gott des Holzes“) und in den meisten Verträgen wurde ausdrücklich verlangt, dass die Auftragswerke „nur durch seine eigene Hand, ohne dass jemand mitwirkt bei den Skulpturen“ geschaffen wurden. Auch dies zeigt, wie groß sein Prestige schon wenige Jahre nach seiner Gefängnisstrafe war. Bescheiden war er nicht. Nach der Vollendung seiner viel bewunderten „Inmaculada“ (Madonnenstatue, 1629) verkündete er: „Dies ist eine der besten Skulpturen, die man je in Spanien hergestellt hat und das Beste, was ich bisher gemacht habe.“ Seine Zeitgenossen schwankten zwischen Bewunderung für das künstlerische Genie des Martínez Montañés und Ablehnung seines eher unsympathischen, da stolzen und aufbrausenden Charakters. Der Maler Francisco Pacheco, der eigentlich mit ihm befreundet war und viele seiner Reliefs und Skulpturen bemalte, war eines Tages so genervt von der Arroganz des Meisters, dass er ausrief: „Und im übrigen bin ich der Meinung, dass er (Martínez Montañés) auch nur ein Mensch wie jeder andere ist!“

Inmaculada La Cieguecita
Inmaculada La Cieguecita, Kathedrale von Sevilla

Das war er aber nicht, sondern ein Jahrhundertgenie, dem nun – mit einem Jahr Verspätung – im Museum der Schönen Künste von Sevilla anlässlich seines 450. Geburtstages die Sonderausstellung „Martínez Montañés – Maestro de maestros“ (M. M. – Meister der Meister) gewidmet wird. Dreieinhalb Monate lang, vom 29. November 2019 bis zum 15. März 2020, werden 57 Werke (davon 47 vom Meister selbst) erstmals zusammen gezeigt. Dafür wird der Hauptsaal des Museums, die ehemalige Klosterkirche La Merced, frei geräumt. Liebhaber sakraler Kunst erhalten damit die einmalige Chance, 47 Schöpfungen vom Gott des Holzes in einem Raum nebeneinander betrachten und vergleichen zu können. Alle diese Statuen, Reliefs und Hochaltäre befinden sich fast ausnahmslos in Klöstern und Kirchen der Stadt Sevilla und in ihrer Umgebung und sind zumeist öffentlich zugänglich. Aber während man vor und nach dieser Ausstellung zwei Dutzend verschiedene Kirchen besichtigen müsste, um alles sehen zu können, präsentiert sich in dieser Sonderschau alles auf einen Blick. Und man kann hier die künstlerische Entwicklung des Hauptvertreters der Sevillaner Bildhauerschule verfolgen – von seinen noch eher im Renaissance-Stil anzusiedelnden Frühwerken bis hin zu fast expressionistischem Hochbarock.

cristo de la clemencia
Cristo de la Clemencia, Kathedrale von Sevilla

Seine erste populäre Monumentalskulptur, der Heilige Christophorus (1597) aus der Kirche El Salvador, ist ebenso Teil dieser Ausstellung wie zwei seiner Hauptwerke, die sich heute in der Kathedrale von Sevilla befinden: der Cristo de la Clemencia (Christus der Gnade, 1604) und die bezaubernde und sehr beliebte Statue der Inmaculada (Jungfrau Maria, vollendet 1629), die wegen halb geschlossener Augen von den Sevillanern nur „La Cieguecita“ (die kleine Blinde) genannt wird. Der Christus der Gnade, von Montañés eigentlich für das Kartäuserkloster Sevillas geschaffen, wurde 1810 vor den Franzosen, die während der napoleonischen Besatzung unzählige Kunstwerke in Andalusien raubten, in einer Kammer des Alcázar-Palasts versteckt. Nach der Säkularisierung des Klosters, von 1835 – 1845, befand sich diese beeindruckende Skulptur des Gekreuzigten Christus schon einmal hier im Museum der Schönen Künste. Aber dann wurde entschieden, dass dieses mystische Kunstwerk besser zur Anbetung in einer Kirche aufgehoben wäre statt in einem Museum. Und so hängt dieser Christus seit 1845 vor einem roten Samtvorhang in der Kathedrale Sevillas.

Ständig hier im Museo de Bellas Artes befindet sich allerdings die nur zwei bis drei Jahre später geschaffene Statue des Heiligen Dominikus. Der Ordensgründer der Dominikaner kniet mit zusammen geraffter Kutte und nacktem Oberkörper, um sich selbst als Büßer zu geißeln beim Anblick des Kreuzes. Seine linke Hand krampft sich um das Kreuz, die Venen auf dem angespannten Unterarm treten klar hervor. Im Gegensatz zur noch manieristischen, ikonenhaften Darstellung des Cristo de la Clemencia kann man in diesem Werk bereits die Entwicklung hin zu einer Barockisierung erkennen: Dieser Santo Domingo zeichnet sich aus durch eine dramatische Dynamik der Körperhaltung, auffällige Muskelanspannung (man beachte die angeschwollene Halsschlagader) und einen Gesichtsausdruck, der Anstrengung und Erregung verrät.

San Juan Bautista
Retablo de San Juan Bautista, Kirche La Anunciación (vor der Restaurierung)

Um 1610 begann Martínez Montañés die Arbeit an seinem ersten, bis heute erhaltenen Hochaltar für das Kloster Santa María del Socorro. Diese Bildergeschichte ist Johannes dem Täufer gewidmet und befindet sich in der Renaissance-Kirche La Anunciación rechts hinter dem Eingang. Viele Touristen laufen achtlos daran vorbei, was auch daran liegt, dass dieses Meisterwerk schlecht beleuchtet und unter einer Zentimeter dicken Staubschicht stellenweise kaum zu erkennen war. Oxidation, Pilzbefall und Holzwürmer hatten der ca. zehn Meter hohen und 400 Jahre alten Altarwand stark zugesetzt und sogar Risse verursacht. Nun ist er endlich in diesem Jahr einer dringend erforderlichen Restaurierung unterzogen worden, die fast 90.000 Euro gekostet hat und jetzt alle Szenen aus dem Leben Johannes des Täufers in der originalen Farbpracht erstrahlen lässt. Die üppige Vergoldung wurde dabei behutsam mit Laserstrahlen gereinigt.

San Juan Bautista
San Juan Bautista (vor der Restaurierung)

Fast zeitgleich begann Montañés 1609 mit der Konzeption seines Opus Magnum, dem Hauptaltar für die Klosterkirche von San Isidoro del Campo in Santiponce (erste Station auf dem Jakobsweg von Sevilla nach Santiago de Compostela), das er 1613 vollendete. Diese grandiose Altarkonstruktion in dem Dorf fünf Kilometer nördlich von Sevilla gilt heute zu Recht als eine der perfektesten Schöpfungen des spanischen Barock. Im Zentrum des circa 13 Meter hohen Altars zieht die Skulptur des Heiligen Hieronymus als kniender, asketischer Büßer alle Blicke auf sich. Nach dem Vorbild der Hieronymus-Statue des Florentiner Bildhauers Torrigiano (1522, ebenfalls im Museum von Sevilla) modellierte Montañés diesen muskelstrotzenden heiligen Helden. Eingerahmt wird er von den mit viel Detailfreude gestalteten Szenen „Anbetung der Hirten“ und „Anbetung der Könige“ und bekrönt wird die goldene Altarwand von der Skulpturengruppe der Himmelfahrt Marias, umgeben von den allegorischen Gestalten der christlichen Kardinaltugenden.

Hauptaltar San Isidoro del Campo
Hauptaltar der Klosterkirche San Isidoro del Campo, Santiponce

Bei der Restaurierung des Johannes-Altars des Klosters San Leandro wurde im November 2019 eine sensationelle Entdeckung gemacht. An diesem 1622 vollendeten Altar, der erneut Szenen aus dem Leben Johannes des Täufers zeigt, wurde beim Auseinanderschrauben der Rückwand der endgültige Beweis für die Autorenschaft von Martínez Montañés gefunden: eine Inschrift mit dem Text „Hizo Juan Martínez Montañés 1622“ („Dies wurde von J. M. Montañés 1622 geschaffen“). Zwar gab es kaum Zweifel, dass dies ein Werk des Meisters war, zu deutlich war sein Stil zu erkennen, aber es fehlte eben ein dokumentarischer Beweis. Das kunstvolle Relief des knienden Johannes als andalusischer Jüngling, der auf das Lamm Gottes zeigt, dominiert dieses Werk. Dabei ist vielleicht erstmals eine Besonderheit zu entdecken, die seitdem als ein stilistisches Markenzeichen von Montañés gilt – er stellt Johannes mit einer sehr markanten Stirnlocke dar, die oft kopiert wurde (vom Meister selbst und von anderen) und wahrscheinlich einer modischen Haartracht junger Männer in jener Zeit entsprach.

San Juan Bautista, Klosterkirche San Leandro (vor der Restaurierung)

Nicht nur für seine Johannes-Altäre, sondern auch für seine Madonnen ließ sich Martínez Montañés vom Anblick der Schönheiten inspirieren, die durch die Straßen Sevillas wandelten. Seine berühmteste und populärste Mariendarstellung „La Cieguecita“ (1629, Kathedrale von Sevilla) ist eine mandeläugige andalusische Grazie, die betend alle Betrachter bezaubert. Ihre Haltung ist meditativ. Mit entrücktem Blick scheint sie vertieft in eine Vision, die nicht von dieser Welt ist. Das letzte Meisterwerk von Montañés befindet sich leider nicht in Sevilla: die 1641-1644 fast expressionistisch gestaltete Szenerie der Engelsschlacht zwischen dem Erzengel Michael und Luzifer, die den Hauptaltar der Kirche San Miguel in Jerez de la Frontera schmückt.

Spaniens größter Bildhauer starb im Juni 1649 an der großen Pest, die in nur vier Monaten fast die Hälfte der Stadtbevölkerung Sevillas (ca. 80.000 Menschen) dahin raffte. Und er teilt kurioser Weise sein posthumes Schicksal mit Spaniens größtem Maler, Diego Velázquez, ebenfalls Sevillaner. Beide wurden bestattet in Kirchen, die im 19. Jahrhundert abgerissen wurden, ihre Graburnen gingen dabei verloren. Aber die Werke, die der „Gott des Holzes“ in Sevilla und in anderen Orten Spaniens, in Peru und Mexiko hinterlassen hat, werden auch in Jahrhunderten noch seinen Namen lebendig halten. Die Ausstellung in Sevilla wird hoffentlich auch junge Menschen, die sakraler Barockkunst sonst vielleicht eher skeptisch gegenüber stehen, mit ihrer realistischen Darstellung und emotionalen Intensität begeistern können.


Museo de Bellas Artes Sevilla
Geöffnet: Dienstags – Samstags 9:00 – 21:00, Eintritt frei für EU-Bürger (Ausweis!)

Fotos: Berthold Volberg