Gesundheit statt Profit in El Alto

Bislang wurden bei Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern die Bekämpfung von Krankheiten wie Malaria, AIDS, Tuberkulose und Impfkampagnen in den Vordergrund gestellt. Doch seit 2014 in Guinea Ebola ausbrach und sich daraus eine Epidemie entwickelte, die in mehreren Ländern Westafrikas wütete, hat sich das geändert. Denn dass sich die Krankheit so rasch ausbreiten konnte, lag auch daran, dass es vielerorts selbst an einer Basisgesundheitsversorgung fehlt. Wie kann in Entwicklungsländern eine gesundheitliche Grundversorgung geschaffen werden?

 

Das Wartezimmer des kleinen Gesundheitszentrums San Sebastian ist bis auf den letzten Platz besetzt. Es sind vor allem Mütter mit Kindern, die hier auf eine Behandlung warten. Ihre Kleidung ist abgetragen und vielfach geflickt, die Wangen eingefallen, die Blicke schon bei den Kleinsten in sich gekehrt. Keiner von ihnen hat eine Krankenversicherung.

„Die Menschen, die unser Zentrum besuchen, haben keine feste Arbeit, sondern sind Tagelöhner und verdienen von Tag zu Tag das, was sie zum Überleben brauchen. Meistens haben sie viele Kinder. Es sind Menschen, die wirklich arm sind. Wir haben unsere Preise so gestaltet, dass sie für sie noch bezahlbar sind“, erklärt Elizabeth Reyes. Sie leitet das Gesundheitszentrum, das vom Kolping-Hilfswerk betrieben wird. Es liegt am Rande von El Alto, der Vorstadt der bolivianischen Metropole La Paz. Die Menschen hier sind arm und der Staat schwach. Es gibt zwar eine staatliche Gesundheitsversorgung, doch das System ist überfordert. „In einem staatlichen Zentrum muss man sich morgens um drei, vier in der Frühe anmelden, um im Laufe des Tages dran zu kommen. In eine Privatklinik können diese Menschen nicht gehen, die Beratung würde 15 bis 20 Euro kosten. Bei uns sind es zwei Euro. Das ist das Minimum dessen, was wir nehmen müssen“, so Reyes.

Zwei Euro – das ist ziemlich genau das, was Alicia Chambi pro Tag als Wäscherin verdient. Sie hat acht Kinder, die sie alleine durchbringen muss, ihr Mann ist Alkoholiker. Als bei ihrem zweijährigen Sohn Nierensteine gefunden wurden, wurde ihre Lage noch verzweifelter. „Er musste ins Krankenhaus und operiert werden und das hat uns furchtbar viel Geld gekostet. Elisabeth hat uns geholfen, aber es war trotzdem furchtbar teuer. Ich habe mir überall Geld geliehen und jetzt viele Schulden, deshalb wasche ich noch mehr Wäsche, um sie zurück zahlen zu können. Und mit der Miete bin ich auch sechs Monate im Rückstand!“, erzählt sie. Doch so verzweifelt Alicia Chambi auch sein mag – es grenzt an ein Wunder, das eine Frau wie sie überhaupt ihr Kind operieren lassen kann. Möglich war das, weil die Kolping-Klinik in El Alto solche Behandlungen anbietet. Insgesamt betreibt das Hilfswerk, dessen Hauptsitz in Köln ist, fünf Gesundheitszentren in der Vorstadt von La Paz.

„Alle Einrichtungen sind mit einer Anschubfinanzierung begonnen worden“, erklärt Peter Schwab, Lateinamerikareferent des Kolpingweks. Die Mittel für die Gesundheitszentren kamen vom Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit und durch Spenden zusammen. “Nach dieser Investition zur Ausstattung und zum Bau müssen die Dinger sich aber selbst finanzieren. Und das ist auch der Grund dafür, dass die Dienstleistungen, die dort angeboten werden, nicht völlig gratis angeboten werden können, obwohl es solche Fälle auch gibt, aus sozialen Gründen. Aber im Prinzip muss jeder etwas bezahlen“, so Schwab weiter.

Die Gesundheitszentren in Bolivien sollen nicht für alle Zeiten von Spenden abhängig sein. Und das sind sie auch nicht. „Ein Grundsatz von Kolping ist Hilfe zur Selbsthilfe. Dem folgen wir. Wir haben Unterstützung bekommen und nutzen sie, um den Menschen zu helfen“. Lucio David Flores Reimago ist der Chefarzt der Kolpingklinik, ein gemütlicher, freundlicher Mann in den 60ern, zu dem man sofort Vertrauen fasst.

Wie kriegen es die Gesundheitszentren hin, eine anerkanntermaßen gute medizinische Versorgung anzubieten, die auch für Menschen mit sehr kleinem Einkommen bezahlbar ist? Entscheidend ist, dass diese Zentren nicht auf Profit ausgerichtet sind und keine Gewinne ausschütten müssen. „In den Privatkliniken geht es darum zu arbeiten und viel Geld zu verdienen. Hier ist das etwas anders. Wir müssen zwar auch etwas verdienen, aber wir geben uns mit weniger zufrieden. So können wir die Kosten reduzieren. Das ist unser Beitrag um den Menschen zu helfen“, erklärt Flores Reimago.

In Bolivien ist es üblich, dass die Ärzte nicht fest angestellt sind, sondern innerhalb einer Klinik auf eigene Rechnung arbeiten. Wer bei Kolping arbeitet, muss sich mit deutlich geringeren Honoraren einverstanden erklären, als im privaten Sektor. Trotzdem geht die Rechnung für den Arzt auf. „Es kommen sehr viele Menschen hier her. Ich berechne zwar weniger, aber dadurch, dass es so viele Patienten sind, verdiene ich noch immer genug.“

Gerade berät die diensthabende Ärztin eine Patientin. Dona Inez Careaga Baldea hat Schmerzen im Knie. Es ist kein Zufall, dass sie damit ausgerechnet jetzt in die Klinik kommt. Das Gesundheitszentrum hat eine Orthopädiekampagne ausgerufen. Einen Monat lang bietet sie Knie- und Hüftoperationen besonders günstig an. „Diese Kampagnen sind für mich sehr wichtig. So, wie für viele Menschen. Ich verdiene nicht viel. Während der Kampagne ist die Behandlung sehr günstig, da gibt es große Nachlässe. Sie kostet dann weniger als die Hälfte!“, berichtet sie. Die 75jährige betreibt einen kleinen Kiosk. Sie verdient damit genug zum Leben und hat auch ein paar Rücklagen, aber 5.000 €, die eine Knie-Operation in einer privaten Klinik kosten würde, kann sie nicht aufbringen. Es gäbe auch die Möglichkeit, in ein staatliches Krankenhaus zu gehen, doch davor schreckt die alte Dame zurück. „Ich war vor Jahren in einem Staatlichen Krankenhaus. Es war alles dreckig. Nein, nein, nein, das ist mir zu unsicher und umsonst ist die Behandlung dort auch nicht. Ich will eine gute, professionelle Behandlung und hier haben sie gute Ärzte. Deshalb ist Inez Careaga Baldea stets bestens darüber informiert, welche Gesundheitskampagnen als nächstes von Kolping angeboten werden. Jeden Monat geht es um eine andere Krankheit, die in El Alto besonders häufig vorkommt und nicht als Notfall behandelt werden muss. „Ich nutze diese Gelegenheiten immer, denn wenn die Kampagne vorbei ist, kann ich die Behandlung nicht mehr bezahlen. Im Mai war ich zum Beispiel bei der Augenbehandlung, sie haben mir den grauen Star zum Sonderpreis gestochen.“

Die Idee hinter dem Sonderpreis ist einfach: Die Masse an Patienten erlaubt eine bessere Ausnutzung der Operationssäle und einen günstigeren Einkauf von Verbrauchsmaterial und Medikamenten. Das sind Kostenvorteile, die weiter gegeben werden. Die Rechnung geht auf. Flores Reimago: „Die Zahl der Patienten steigt während der Kampagnen an – rund ums Jahr, denn die Kampagnen sind gleichzeitig auch eine Werbung für unser Angebot.“

Weil so viele Menschen die Gesundheitszentren von Kolping nutzen, gelingt es tatsächlich, die Preise niedrig zu halten und gleichzeitig ohne zusätzliche Finanzspritzen aus dem Ausland zu arbeiten. Lediglich dann, wenn ein Umbau ansteht oder medizinische Geräte angeschafft werden müssen, brauchen die Zentren Zuschüsse. So war es zumindest bisher. Peter Schwab hat kürzlich eine erfreuliche Entwicklung beobachtet: „Das Hospital konnte aus eigener Kraft einen neuen Computertomograph erwerben und der alte tut jetzt gute Dienste in der Ambulanz in El Alto. Ich glaube dass man mit der Zeit dazu kommt, dass Investitionen selbst verdient, dass also Rückstellungen gebildet werden können, die Reinvestitionen ermöglichen. Auf diesem Weg sind wir in jedem Fall.“

Ohne finanzielle Beteiligung auch der ärmsten Patienten wäre das unmöglich – auch wenn es weh tut, von einer so bitter armen Frau wie Alicia Chambi Geld für die Behandlung der Nierensteine ihres kleinen Sohnes zu verlangen. „Er war fast zwei Wochen im Krankenhaus, ich war die ganze Zeit bei ihm und konnte währen dessen kein Geld verdienen, deshalb musste ich mir noch mehr Geld leihen“, erzählt Chambi. Doch die achtfache, allein erziehende Mutter weiß auch, dass sie ohne das nicht am Profit orientierte Gesundheitszentrum von Kolping keine Chance gehabt hätte, ihren Sohn operieren zu lassen. „Sie haben mir sehr geholfen. Als ich die Röntgenaufnahmen nicht bezahlen konnte, haben sie mir das erlassen und andere Kosten auch. Ich weiß nicht, was sonst aus uns geworden wäre.

Diese Recherche wurde durch das Stipendienprogramm Global Health Journalism
Grant Programme for Germany (www.Journalistenstipendien.org) des European
Journalism Centre (EJC) gefördert. Die Förderer haben keinen Einfluss auf
die inhaltliche Arbeit genommen.“

Trailer: https://www.facebook.com/developinghealthsystems/videos/885447884961943/