Die Pousada Pé da Mata im brasilianischen Maresias

Wir sind mitten in den Bergen. Noch hängt der Morgennebel in den Baumkronen und überzieht das sonst so kräftige Grün der Blätter mit einem trüben Grauschleier. Der trilha, der lehmig-rutschige Trampelpfad, führt steil den Berg hinauf, wo ein kleiner, höchstens drei Meter hoher Wasserfall Kühlung bringt. Über Nacht ist es warm geworden. Gestern noch peitschte der Regen über das kleine Städtchen am Fuße der mächtigen Serra do Mar, dem bis zu 1.000 Meter hohen Küstengebirge. Doch jetzt, da die Sonne immer höher steigt, durchzieht eine brütende Schwüle die Mata Atlântica, den dichten Urwald, der einst Brasiliens Küste auf einem bis zu 50 Kilometer ins Landesinnere hinein reichenden Streifen dominierte. Nur noch 10% des einstigen Bestandes hat sich ins 21. Jahrhundert hinüberretten können.

Gegen Mittag sind wir zurück in unserer Wochenend-Heimat am Fuße der Berge, wo uns der Verwalter Dori mit einer Warnung empfängt: „Achtet ein wenig darauf, wo ihr hintretet. Es ist heute so warm geworden, dass die Schlangen den Wald verlassen und sich ein kühles Plätzchen suchen.

Manchmal sieht man sie auf dem Beton vor den Chalets im Schatten liegen. Zwar sind nicht alle Arten giftig, aber wirklich unterscheiden kann man sie auf den ersten Blick nicht.“ Die Pousada besteht aus 10 Chalets, kleinen dreistöckigen Appartements, einem Haupthaus mit Spiel- und Speisezimmer, in dem wir morgens ein opulentes Frühstück zu uns genommen haben, einer kleinen Bar und zwei Swimmingpools, um die herum sich die meisten Häuser gruppieren. Das Areal ist riesig, und einige Chalets sind weiter in den Urwald hinein gebaut.

Es ist still. Außer den Geräuschen des Waldes, dem Rauschen des Windes in den Blättern, leisem Gezirpe und einigen wenigen Vogelstimmen ist nichts zu hören. Der Strand mit den vielen Hotels und der Diskothek, wo sich an Wochenenden und in den Ferien Tausende von Jugendlichen tummeln und der Maresias den Ruf einer Partymeile für São Paulos Mittelschicht eingebracht hat, liegt etwa zwei Kilometer entfernt von uns. Hier, in der Pousada Pé da Mata, „Am Fuße des Waldes“, herrscht wohltuende Ruhe. Sie ist am Ende einer sich von der Hauptstraße aus über die etwa zwei Kilometer breite, dem Gebirge vorgelagerte Küstenebene, erstreckenden Straße gelegen, die nur in Strandnähe dicht bebaut und gepflastert ist, hier im Hinterland aber immer ursprünglicher wird. Wilde Bananen mit ihren elefantenohrengroßen Blättern säumen den Wegesrand, während kleine Bäche durch improvisierte Brücken überwunden werden.

Mit von der Pousada geliehenen Fahrrädern geht es zum Strand, einem drei Kilometer langen Streifen feinsten weißen Sandes. Das Wasser ist wunderbar klar und wohl temperiert, schlägt jedoch wild gegen den steil abfallenden Boden. Schon nach wenigen Metern kann man nicht mehr stehen. Eine Kette von Surfern liegt weiter draußen und wartet auf die Königinnenwelle, die sie bis ans Land zurück trägt. Der Blick vom Wasser aus auf die Küste bringt die unwiderstehliche Kombination aus blauem, mit kleinen weißen Wölkchen versetztem Himmel, einem saftig-grün leuchtendem Urwald und dem Beige-Gelb des Sandes.

Traurig derjenige, der ihn wieder verlassen muss, diesen Ort grenzenloser Schönheit, um zurück zu fahren in die große Stadt. Nur 170 Kilometer liegt dieses kleine Stück Paradies von dem Großstadtungeheuer São Paulo entfernt.

Über die „linha verde“ genannte Küstenstraße, die Rio de Janeiro mit Santos verbindet, kann man die Strecke innerhalb von zweieinhalb Stunden überwinden.

So sagt es zumindest der Fahrer des kleinen FIAT-Transporters, der seinen Kopf den an der Bushaltestelle von Maresias Wartenden entgegenreckt. „Zwei Stunden schneller in São Paulo, und dabei wesentlich komfortabler als der Autobus. Und der Preis ist der gleiche.“ Schon füllt sich der Zwölfsitzer mit Menschen, die meinen, ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Doch schon am ersten steilen Anstieg kommt der Wagen nur im Schritttempo voran. Auf den nächsten Kilometern füllt er sich immer mehr, bis ihn schließlich 20 wie Ölsardinen zusammen gequetschte Personen füllen. Und als er später versucht, bei Bertioga die Berge der Serra do Mar in Richtung São Paulo zu erklimmen, steigt plötzlich Qualm aus der Motorhaube empor. Totenstille bemächtigt sich der Insassen, als der Transporter auf dem Standstreifen ausrollt und dann stehen bleibt. Nur ein quietschendes Geräusch dringt von vorne durch den Wagen, als ob der Fahrer leise heulen würde. Doch er heult nicht, sondern lacht, und sein Lachen wird lauter, als es anfängt zu blitzen und das Gewitter losbricht.

Wir sind wieder mitten in den Bergen. Die Gewitterwolken hängen in den mächtigen Gebirgsgipfeln über uns und überziehen das sonst so kräftige Grün der Blätter mit einem trüben Grauschleier. Die Straße, über die das Regenwasser talwärts schießt, führt in einem grau-weißen Band hinauf, dorthin, wo ein mächtiger Sendemast thront. Die wie unter einem Wasserfall hinab schießenden Regentropfen bringen eine unangenehme Kühle mit sich. Innerhalb von Minuten ist es richtig kalt geworden. Majestätisch schieben sich die Wolken seitwärts an den Bergen entlang, klettern dann weiter nach oben, über den Bergkamm, hinter dem Mogi das Cruzes und, ziehen weiter ins Landesinnere, dort wo São Paulo liegt. Ein orangefarbener Lastwagen hat auf mein Zeichen hin angehalten, und wir laufen schnell auf ihn zu, die anderen Leidensgenossen in dem fahruntüchtigen FIAT zurücklassend. Mit 30 Stundenkilometern quält sich unser Retter die Berge hoch, doch immerhin kommen wir zurück nach São Paulo, wo wir uns noch stundenlang in die endlosen Schlangen des Wochenendrückreiseverkehrs einreihen müssen, die sich über die breiten Betonstreifen ergießen, bevor wir endlich zuhause ankommen.

Fotos: Thomas Milz