Das Herz der Hüfte

Stagnari Tannat ‚Del Pedregal’ 2013 

Es war kurz vor Weihnachten. Das Jahr ging dem Ende zu, und der Stresspegel stieg beständig. Grund genug für ein paar Berliner Uruguay-Aficcionados sich zu treffen, um einen entspannten Abend zu verbringen und sich in Nostalgien über das Land zu vereinigen, das sie alle unter anderem für seine entschleunigte Lebensweise lieben. Zwei von ihnen haben vor einem guten Jahr begonnen, uruguayische Weine zu importieren. Zwei weitere ziehen seit dem vergangenen Frühling mit einem Foodtruck über die Berliner Wochenmärkte, in dem sie neben selbst gemachten Empanadas vor allem Fleisch-Sandwiches verkaufen. Der Fünfte in der Runde hat unlängst den Uruguay-Reiseführer für den Reise Know-how Verlag geschrieben und ist zudem der Autor dieses Textes.

Außerdem saß aber noch eine halbindische Trainerin für interkulturelle Kompetenz am Tisch. In Uruguay war sie bis dato noch nicht. Und wäre sie nicht mit dem Autor dieses Texts liiert, hätte sie den Abend sicherlich anders verbracht. Oder zumindest hätte sie etwas Eigenes zu essen mitgebracht. Denn die Gastgeber servierten einen fantastisch frischen cuadril. Ein gutes Kilo feinsten Rindfleischs, medium zubereitet, das stolz in seinem eigenen Saft auf der Bratenplatte trohnte. Ein Traum – zumindest für fünf der sechs Anwesenden. Denn die Trainerin bezeichnet sich aus gutem Grund gerne oft als Borderline-Vegetarierin, wenn auch mit einem Augenzwinkern.

pedregalParallel zu dem duftenden Braten servierten die Gastgeber einen uruguayischen Rotwein. Wie nicht anders zu erwarten einen Tannat, die Nationalrebsorte des Landes, von einem der ältesten Weingüter Uruguays, der Antigua Bodega Stagnari. Tiefschwarz floss er aus der Flasche, rubinrote Reflexe leuchteten in den Gläsern und ein Bukett aus Schokolade, Kaffee und schwarzen Johannisbeeren mit einem Hauch Tabak und Vanille stieg auf.

Geschmeckt hat er an dem entschleunigten Abend vor Weihnachten allen Anwesenden, auch der Borderline-Vegetarierin. Und vielleicht war er ein Grund dafür, dass sie zwar nicht ganz so lang blieb wie ihr Mann – aber zumindest nicht schon während des Essens wieder heimfuhr.Sechs Monate verbringt der Wein im Keller der alten Bodega in Fässern aus amerikanischer Eiche, bevor er in die Flaschen abgefüllt wird. Sein Name ‚Del Pedregal’ verrät einiges über den Boden, in dem die Rebstöcke wurzeln: Steinwüste heißt pedregal auf Deutsch. Ein trockener von Steinen und Felsen durchsetzter Boden, dessen Mineralien den Körper des Weines entscheidend mitbestimmen und seine fruchtigen Cassis- und Sauerkirsch-Noten üppig ergänzen. Dazu gesellen sich auf der Zunge ebenfalls Vanillenoten, außerdem eine Spur Gewürze und leicht rauchige Aromen. So wie es sich für einen Tannat gehört, sind seine Tannine besonders ausgeprägt und präsent. Aber sie legen sich nur für kurze Zeit über den Gaumen und überlagern seinen Geschmack nicht, sondern verleihen ihm seinen Charakter. Außerdem liefern sie einen entscheidenden Beitrag, die Speisen im Magen zu verdauen. So ist der Wein auch ein perfekter Begleiter für Fleischgerichte; wie etwa zum Cuadril, das auf Deutsch das Herz der Hüfte heißt.

Text + Foto: Lars Borchert

Über den Autor: Lars Borchert ist Journalist und schreibt seit einigen Jahren über Weine aus Ländern und Anbauregionen, die in Deutschland weitestgehend unbekannt sind. Diese Nische würdigt er nun mit seinem Webjournal wein-vagabund.net. Auf caiman.de wird er ab jetzt jeden Monat über unbekannte Weine aus der Iberischen Halbinsel und Lateinamerika berichten.