Cowboys im Sängerwettstreit

Ein Llanero sieht die Frau seines besten Freundes am Ufer des Apure bei der Morgenwäsche. Verschämt wendet er sich ab, doch aus dem Augenwinkel erspäht er einen großen Kaiman, der sich der Llanera nähert. Der Llanero befindet sich nun in einer scheinbar aussichtslosen Situation: tötet er den Kaiman, so ist er als Beobachter entlarvt – unternimmt er nichts, dann ist die Frau seines Freundes in Gefahr. Just in diesem Moment reitet ein weiterer Llanero daher. Der Gewissensgeplagte schildert diesem die Lage.

Gemeinsam beschließen sie, zu handeln und retten die Llanera. Der Gatte kommt hinzu und ist überglücklich über den Ausgang. – Soweit die beschriebene Situation in der Copla (Lied) aus den Llanos: el caimán.

Die Freude unter den Freunden ist riesig, und man trifft sich am Abend zu Tanz und Fiesta. Bei dieser wird das nachmittägliche Erlebnis wieder und wieder vorgetragen und ausgeschmückt. Das ganze Dorf feiert dann die Llanera, ihre Retter, den verständnisvollen Ehemann, die Sänger und letztendlich sich selbst.

Geselligkeit wird in den Llanos großgeschrieben. Gitarre und Sänger fehlen bei keiner Festivität. Die Texte handeln vom Alltag, den Menschen der Umgebung und dem Dorf. So beteuert etwa ein erster Sänger: Ich singe für mein Dorf, das schönste Dorf der Welt. Hier lebe ich unter Freunden. Ein Gast-Sänger erwidert: Auch ich komme aus einem wunderbaren Dorf, aber ich freue mich bei euch sein zu dürfen und über die Gastfreundschaft, die ihr mir entgegen bringt.

Bereits Reisende im 19. Jahrhundert beschreiben die rumba-llanera: Am Abend begannen die Lustbarkeiten und Singen und Tanzen fehlte nie. Die Musik war noch von Gesang begleitet, denn alle Llaneros sind eifrige Sänger, die sehr hübsche Trovas Llaneras vorzutragen verstehen, und fast alle sind geborene Improvisatoren. Kommen zwei derselben zusammen, so beginnen sie sofort einen Wettkampf und singen abwechselnd so lange, bis der Eine schweigt und dadurch den Andern als Sieger anerkennt, der nun der Löwe des Tages wird und die zärtlichsten Blicke der Damen empfängt. (Paéz, Die Landschaft am Apurestrom in Venezuela, 1864).

Man findet jedoch auch gegenteilige Meinungen unter den historischen Reiseautoren. Fixiert auf das deutsche Kulturgut, wurde die fehlende Gesangsausbildung, wie sie doch in der Heimat üblich sei, bemängelt. Und so sah sich manch Reisender durch den die Ohren beleidigenden Lärm des Gesang-Geschreis um seine all so sehr verdiente Nachtruhe betrogen.

Neben dem Gesang beschäftigte unsere Llanosreisenden aus dieser Zeit vor allem das nach christlichem Verständnis indiskutable Miteinander von Frau und Mann. So schreibt Sachs 1879:
Oft war ich erstaunt, wenn mir, in einem ziemlich respectablen Hause, der Hausherr seine „señora esposa“ in aller Förmlichkeit vorstellte, und ich hinterher erfuhr, dass hier nur eine freie, mit gegenseitigem Kündigungsrecht eingegangene Vereinigung vorlag. Jeden Augenblick kann eine solche wilde Ehe gelöst werden und beide Theile „verheirathen“ sich auf Neue, ohne dass man darin etwas Anstössiges findet.

Häufige Partnerwechsel waren demnach gang und gäbe, und zu der Kinderschar einer Frau gehörten immer mehrere Väter. Auf die Frage nach dem Vater ihrer Kinder antwortete eine junge Llanera den Autoren, Sachs und Páez gleichgültig: Quien sabe? (Wer weiß?)

Wenn ein Llanero oder Steppensohn das Unglück hat, Roß und Weib gleichzeitig zu verlieren, er im Stillen denkt: der Gaul thut mir weh, das Weib aber hätte der Teufel holen können. – Und wirklich, so Sachs, hat er auch gar nicht Unrecht, wenn alle Llaneras nach dem oben geschilderten Quien-sabe-Grundsatz leben.

Für den Bekanntheitsgrad der Llanos im 19. Jahrhundert sorgten neben ausführlichen Berichten in geographischen Zeitschriften die Werke Alexander von Humboldts. „Die Reise ins Äquatorial“ oder „Ansichten der Natur“, die Humboldt, nach seiner fünfjährigen Reise durch Venezuela, Mexiko, Kolumbien, Ecuador und Kuba veröffentlichte, waren ein Muss auf dem bürgerlichen Lesepult.

Seit Ende der 1990er Jahren rücken die Llanos wieder mehr in den Fokus Reisender, nachdem das Gebiet für den Tourismus für nahezu ein Jahrhundert lang in Vergessenheit geraten war.

Fotos: Dirk Klaiber / Casa Vieja Mérida, Venezuela