Bilbao – Jenseits vom Guggenheim

Natürlich ist das berühmte Guggenheim-Museum in Bilbao einer der Gründe, warum aus der grauen Maus, dem „Gelsenkirchen Spaniens“, inzwischen ein schillerndes Touristenziel geworden ist. Aber die 350.000-Einwohner-Stadt Bilbao, die an einem Fjord 12 Kilometer von der Küste entfernt liegt, hat deutlich mehr zu bieten als den glänzenden Phantasiekoloss von Frank O. Gehry, der 1997 vollendet wurde.

Azkuna Zentroa
Azkuna Zentroa (Alhóndiga Bilbao)

Azkuna Zentroa

So wählen wir als unser erstes Besuchsziel in Bilbao einen beachtlichen Versammlungsort, für den man weder in einer Schlange anstehen noch Eintritt zahlen muss. Ein Bürgerzentrum wie es schöner und kompletter kaum sein könnte: das „Azkuna Zentroa“ (oder traditionell „Alhóndiga Bilbao“). Und das bietet einiges: im Kellergeschoss acht Kinosäle, in der Eingangshalle ein Informationszentrum, in den oberen Stockwerken eine Vorzeige-Bibliothek, Ausstellungsaal, Sportstudio und als krönenden Abschluss ganz oben ein Schwimmbad mit gläsernem Boden – so dass man hoch über sich im Himmel über Bilbao den eifrigen Schwimmern beim Kraulen und Tauchen zusehen kann. Und natürlich gibt es auch eine Bar mit Dachterrasse und spektakulärem Blick auf die Plaza Arriquíbar und die Dächer der baskischen Hauptstadt.

Eingangshalle mit 43 Säulen in völlig unterschiedlichen Stilrichtungen
Eingangshalle mit 43 Säulen in völlig unterschiedlichen Stilrichtungen

Das alles befindet sich in einem Palast, der 1905 vom Architekten Ricardo Bastida als gigantischer Speicher für Wein erbaut worden war. Von diesem ist nur die Fassade im „estilo ecléctico“ (einer Art monumentalem Jugendstil) erhalten. Innen wurden nach der Entkernung drei große Würfel aus Ziegelsteinen gemauert und in die weitläufige Eingangshalle baute man unter Leitung des Italieners Lorenzo Baraldi 43 Säulen in völlig unterschiedlichen Stilrichtungen – von klassischen über salomonisch gedrehte Barocksäulen mit Weinlaub-Dekoration bis hin zu modernen Stahl- und Betonsäulen ist alles dabei. Dabei ist jede der 43 Säulen ein Einzelstück (meine Lieblingssäule ist die blau-barocke und schwungvoll gedrehte). Dieser Umbau zum modernen Bürger- und Kulturzentrum wurde zwischen dem Jahr 2000 und 2019 vom französischen Architekten Philippe Starck durchgeführt. Das Azkuna Zentroa trägt heute den Namen eines der beliebtesten Oberbürgermeister von Bilbao, Inaki Azkuna, der dieses Amt 15 Jahre bis zu seinem Tod im Jahr 2014 bekleidete.

Brücke über den Fjord von Bilbao
Brücke über den Fjord von Bilbao
Altstadt Bilbaos
Altstadt Bilbaos

Altstadt

Vom Centro Azkuna bewegen wir uns dann über die endlos lange Calle San Francisco Richtung Altstadt von Bilbao. Auf der anderen Seite der Brücke, die den Fjord von Bilbao überquert, empfängt uns eines der Wahrzeichen, die Kirche San Antón. Sie gilt als eine der ältesten Kirchen der Stadt (gotisch, 1433, mit barockem Turm) und wirkt harmonischer als die kleine Kathedrale, die zum größten Teil neugotisch ist und der man die geringe Tradition anmerkt. Besonders schön: die ergreifende Pietà im Renaissance-Stil in der linken Seitenkapelle.

Pieta in San Antón
Pieta in der Kirche San Antón – gotisch, 1433, mit barockem Turm

In der Altstadt Bilbaos laden – wie überall im Baskenland, das als die Gourmet-Region Europas gilt – zahlreiche Bars mit ebenso hübsch anzusehenden wie köstlich schmeckenden „pintxos“ zum Probieren ein. Man sollte niemals im Baskenland das Wort „tapas“ in den Mund nehmen. Das ist noch schlimmer, als wenn Touristen neben dem Rosenmontagszug in Köln zu Einheimischen sagen würden: „Ihr feiert aber schön Fasching!“ In beiden Fällen: Rauswurf!

Die Küche des Baskenlandes ist auch deshalb so gut, weil hier das Beste in aller Vielfältigkeit zusammenkommt: frische Meeresfrüchte und Fische aus der Biskaya, gutes Fleisch, aber auch eine reichhaltige Gemüse-Auswahl aus den grünen, mit reichlich Niederschlag gesegneten Tälern der Umgebung.

pintxos gildas
Pintxos Gildas

Zu den Standard-pintxos gehören die „Gildas“ (Spießchen mit Oliven, sauren Gürkchen und Wachteleiern auf Sardellen-Brötchen). Übrigens auch super als Katerfrühstück. Wichtig in einer Region, wo zudem der Wein einsame Spitze ist: die edlen Tropfen der baskischen Rioja Alavesa sind die besten Rotweine der Welt. Gestärkt mit Gildas, Jakobsmuscheln, Rinderfiletspitzen mit Paprika und Rioja der Bodega Baigorri bzw. Piérola machen wir uns an den Aufstieg zum Monte Artxanda.

Altstadt Bilbaos
Altstadt Bilbaos

Monte Artxanda

Nun ja, ich gebe zu, wir wählen den bequemen Weg – mit der Drahtseilbahn. Praktischer Weise gelten die Mehrfahrten-Tickets des städtischen Nahverkehrs auch hier. Denn dieses Gefährt, das sich den steilen, 300 Meter hohen Hügel empor quält, wird keineswegs nur von Touristen genutzt, sondern auch von Einheimischen, die aufs Auto verzichten und hier oben am Hang wohnen. Dominiert wird der Aussichtspunkt des Monte Artxanda nicht nur von den roten Lettern des Schriftzugs Bilbao/Bilbo, sondern vielmehr durch die acht Meter hohe, sehr beeindruckende Metallskulptur (2006) des Bildhauers Juanjo Novella, die einem Fingerabdruck nachempfunden ist. Viele Besucher aus aller Welt versammeln sich hier, um den Sonnenuntergang zu betrachten und (Abschieds)Fotos von Bilbao zu machen. Nur wenige erkennen den Sinn der spektakulären Skulptur. Beauftragt von der Gewerkschaft CNT soll sie an die Opfer der Franco-Diktatur erinnern, an Gewerkschaftler und andere Franco-Gegner, die für ihre politische Einstellung lange Haftzeiten oder sogar den Tod in Kauf nahmen und damit symbolisch ihren Fingerabdruck in der Geschichte hinterlassen haben.

Metallskulptur (2006) in Erinnerung an die Opfer der Franco-Diktatur
Metallskulptur (2006) in Erinnerung an die Opfer der Franco-Diktatur

Museum der Schönen Künste

Abends besuchen wir das eigentliche Museum der Schönen Künste von Bilbao. Dieses irritiert einige Besucher mit einem sehr originellen Konzept: die Gemälde sind hier nicht chronologisch nach Kunstepochen, sondern thematisch nach Ideen geordnet. In jedem der kleinen Säle dominiert ein Motto, z. B. „Deseo“ (Begierde), „Muerte“ (Tod) oder „Azul“ (die Farbe Blau) und unter diesem Motto werden Werke völlig verschiedener Epochen in einem spannenden Dialog nebeneinander präsentiert. Und es muss klar gesagt werden, dass dieses Museum, was die Bedeutung der Exponate betrifft, deutlich wichtiger ist als das populäre Guggenheim-Museum. Denn es bietet einen repräsentativen Querschnitt spanischer Malkunst aller Epochen, darunter drei grandiose Gemälde des Sevillaner Barockmeisters Zurbarán, je eines der besten Gemälde von Murillo und Ribera, mehrere Werke von Goya und El Greco, dazu Werke einiger italienischer (Gentileschi) und flämischer Meister (Van Dyck, Martin de Vos) sowie moderne Kunst und einige spektakuläre Skulpturen. Damit kann man dieses erstaunlich unbekannte Museum zu den Top-5 in Spanien zählen (nach dem Prado und Thyssen-Bornemisza in Madrid und den Hauptmuseen von Sevilla und Valencia).

Guggenheim-Museum
Guggenheim-Museum

Guggenheim-Museum

Zugegeben: ganz zum Schluss landen wir dann doch beim Guggenheim-Museum. Auch wenn die ständige Kollektion abgesehen von den Skulpturen von Richard Serra und Jorge Oteiza (noch) nicht so viel zu bieten hat, architektonisch ist der Bau des Kanadiers Frank O. Gehry natürlich ein Geniestreich. Kaum jemand kann davon unbeeindruckt bleiben, denn sowohl im Innenraum, wo es keine geraden Linien gibt und alles zu schwingen und zu vibrieren scheint, als auch außen, wo der silbern glänzende Koloss je nach Tageslicht seine Farben wechselt, fasziniert dieser Bau durch seine einzigartige Form. Es selbst ist eine Skulptur, wird oft mit einer gigantischen Blüte verglichen. Und davor hockt wie ein Wächter die riesige Spinne von Louise Bourgeois, eine zehn Meter hohe Stahlskulptur, besonders beliebt bei Kindern, die um ihre Beine herumtollen. Wenn dann plötzlich die Nebelmaschine angeworfen wird, die in wenigen Minuten den Vorplatz mit wabernden Nebelschleiern überwuchert, sind auch viele Erwachsene für Momente wie verzaubert.


Kurzinfos für Bilbao

Azkuna Zentroa: Adresse: Plaza Arriquíbar 4; www.azkunazentroa.eus
Öffnungszeiten: montags – donnerstags: 7 bis 23 Uhr, freitags: 7 bis 24 Uhr, Wochenende: 8:30 – 24 Uhr, Eintritt frei (Kinobesuch, Sportstudio, Schwimmbad kostet extra)

Museo de Bellas Artes de Bilbao: Adresse: Museo Plaza 2, Tel. 944396060; www.museobilbao.com
Öffnungszeiten: täglich von 10 – 20 Uhr (dienstags geschlossen!), 
Eintritt: 8 EUR, täglich von 18 bis 20 Uhr: Eintritt frei

Guggenheim-Museum: Adresse: Avenida Abandoibarra 2, www.guggenheim-bilbao.eus
Öffnungszeiten: dienstags – sonntags: 10 – 20 Uhr; Eintritt: 10 EUR (ohne Sonderausstellung, mit Sonderausstellung: 18 EUR)