Andines Sauerkraut mit Arepa und Voodoo

Da ist doch was im Busch?, sage ich und nippe am Glas.
Cái ist nach der zweiten Cuba Libre nicht mehr der Schnellste. Während er an einer Antwort bastelt, schaut ein Opossum unter dem Kaffeestrauch hervor. Wir grüßen. Da ziehen drei in Weiß gekleidete Gestalten an uns vorbei. Und dann noch mal zwei und noch mal zwei.

Ich befinde mich in den venezolanischen Anden, zehn Kilometer von Mérida entfernt in Richtung Páramo. Die kleine Stichstraße geht direkt von der Transandina ab. Sie ist privat. Abends schließt El Profe – der Künstler, der mit seiner Frau Ana und seiner Exfrau Ana Maria im erste Haus wohnt – das Tor, allerdings ohne es mit einem Schloss zu sichern. Cáis Posada ist das dritte Haus. Gegen Kost und Logie und Jeep-Touren biete ich Fotos, Texte und Websites. Ein super Deal. Schnell hat sich eine Freundschaft entwickelt und so sitzen wir jeden Abend nach der Büroarbeit auf der Veranda und grüßen das Opossum.

Neben uns, am Ende der Straße liegt das Haus von Baba. Die Bewohner der Llanos, der venezolanischen Steppe, nennen die Kaimane, die sich an den Wasserlöchern tummeln, Babas. Baba hat sein Haus vor einem halben Jahr an den Profe verkauft.

Wieder zeiht eine kleine Gruppe weiß gekleideter an uns vorbei in Richtung Babas Haus.
Mir scheint Babas Haus hat eine gewisse Berühmtheit erlangt.
Tio caimán, am liebsten würde ich gleich mal einen Blick riskieren. Ich würde schon gern wissen, was unsere Nachbarn da so treiben.
Cái nennt mich tio caimán aufgrund meiner Faszination für die unzähligen Brillenkaimane, die wir auf den Llanos-Touren beobachten.
Wieso schließt ihr eigentlich das Tor zur Straße nachts nicht ab?
Es ist 2009. Die Kriminalität ist irre hoch. Grund ist nicht zuletzt, dass Chavez viele Waffen unters Volk gebracht hat, gepaart mit der steigenden Armut. In Barinas, dem Tor der Llanos am Fuße der Anden, hat jedes zweite Auto auf der Heckscheibe stehen: „No al sequestro!“ (Schluss mit Entführungen!) Den Gouverneursposten in Barias haben Vater und Bruder von Chávez fest im Griff. Ob sie mit den Entführungen…
Cái schneidet mir das Wort ab.
Tio caimán, alles weitere ist Spekulation.

Señor Dik?
Die Köchin, Señora Maria Biencomer, die mich seit einigen Tagen über ihre Schulter schauen lässt, ruft. Das Kraut (repollo), das wir vor einigen Tagen im Schweiße unseres Angesichts bearbeitet hatten, ist fermentiert.
Probier mal.
Wow, schmeckt schon im ungekochten Zustand hervorragend.
Doch die Familie von Señor Cái mag es gerne als klassisches andines chucrut (Sauerkraut). Und Señora Maria Biencomer liebt es, ein bis zwei Cuba Libre zum Kochen zu trinken. Das ist wohl auch der wahre Grund, warum sie mir, dem aufmerksamen Familien-Barkeeper, so geduldig ihre Kochkunst vermittelt.

Chucrut nach Señora Maria Biencomer

In Deutschland musste ich das Rezept leicht abwandeln. So kommt der saure Boskop statt marktfrischer Ananas und dem kleinen, harten aber sehr schmackhaften Anden-Pfirsich zum Einsatz.

Zudem habe ich nicht immer die Muse, den Kohl zu kneten bis er Wasser lässt und mir die Arme abfallen und kaufe daher meist Sauerkraut an der Theke.

Rezept

Für das Sauerkraut 1-2 Zwiebeln würfeln und anbraten. Eine Handvoll Speck dazugeben und auslassen. Mit einem Glas Weißwein ablöschen. 800 gr Sauerkraut, 1-2 Liter kräftige Brühe und 10 Wacholderbeeren hinzufügen. 1-2 Äpfel der Sorte Boskop und 1-2 rohe Kartoffel in das Kraut fein reiben – letzteres macht das Sauerkraut sämig und geschmeidig. 30 Minuten köcheln mit geschlossenem Deckel. Das ganze mit Kurkuma-Pulver in Farbe bringen.

Als Chili reicht Señora Maria Biencomer ihr berühmtes Guasacaca – eine dicke Chili-Soße. So großer Fan ich auch bin, so hat sich doch eine andere Chili-Variante in mein krautiges Bewusstsein eingeschlichen und will nicht mehr weichen: getrocknete Chipotle aus Mexico und je nach Schärfewunsch entsprechend scharfe Chilisorte wie Chile Árbol oder Pinga de mono zusammen mit einer Zwiebel und eventuell Knoblauch 20-30 min kochen, reichlich salzen und pürieren. Wahnsinn!

Für die Arepas Maismehl (weiß, vorgekocht) mit Salz und Wasser vermengen. Kurz ruhen lassen. Kugeln formen und platt drücken, ca. 6 mm hoch. Auf kleiner Flamme in der Pfanne mit etwas Öl ca. 10 min garen.

Cái kommt ganz aufgeregt in die Küche.
Tio caimán. Santería! In Babas Haus finden Santería-Zeremonien statt. Und das wirst du nicht glauben. Ana Maria, die Frau vom Profe, ist die Priesterin.
Jetzt passt alles zusammen. Der religiöse Kult ist in Venezuela weit verbreitet. Die Priesterinnen und Priester genießen hohes Ansehen. Es ist also möglich, dass allein die Präsenz Ana Marias für die Sicherheit in der Straße sorgt – auch ohne Schloss.

Cái mixt drei letzte Aperitif-Cubas für die Veranda. Die Köchin sagt sowieso nicht nein und ich werde nicht gefragt. Prost Opossum. Dann schlemmen wir.