Wundersame Klänge aus Peru (08/2015)

Dieses Album ist ein Kandidat für DIE Platte des Jahres aus Lateinamerika. Kanaku y el Tigre, ein Projekt der beiden Peruaner Nicolás Saba und Bruno Bellatín, überrascht mit einer einzigartigen Klangwelt, die sich aus komplexen Schichten zusammensetzt, die es zu entblättern gilt und die Instrumente wie Gitarre, Akkordeon, Charango, Glockenspiel und Klavier mit sanfter Elektronik und Chorgesang vereint. Dieses Fest der Klänge manifestiert sich in schönen Melodien und mit einer Energie, die sofort auf den Hörer überspringt – man beachte nur das expressive Cover-Artwork.

Kanaku y el Tigre
Quema, quema, quema
Strut / Tiger milk

Schon der erste Titel „Quema, quema, quema“ (mit englischem Text) – noch einer der weniger originellen – mischt Hawaiigitarrensounds mit dschungelähnlichen Chorussen und elektronischen Verzerrungen à la Talk Talk zu einem psychedelischen Gesamtkunstwerk, das zwischen laut und leise changiert und gleichzeitig groovt. „El diablo bailando en mi sala…“ heißt es irgendwo im zweiten Song „Nunca me perdí“ und tatsächlich scheinen immer wieder „teuflische“ Elemente zwischen den Melodien durch (hier ein „twang“ der an „Bela Lugosi’s Dead“ von Bauhaus erinnert). Chorgesang spielt auch hier eine tragende Rolle, die er sich mit einer hawaiianischen Slidegitarre teilen muss. Und so geht es weiter: Das langsame, aber energiegeladene „Pulpos“ wird von der spanischen Gastsängerin Leonor Watling veredelt, die über Fuzzgitarren und leise elektronische Beats singt. Diese Westernstimmung erhält sich in „Quien se queda, quien se va“, einem tarantinomäßigen Roadsong, in dem Ukulele-Klänge die Sehnsucht erhöhen.

Tatsächlich hat sich die Band für ihr Album von Jack Kerouac’s Kultroman „On the Road“ inspirieren lassen, was sich auch in den Texten niederschlägt. Verzerrte Gitarren, Raumschiffsounds, Chöre und eine schöne Melodie handeln das Thema „Si Te Mueres Mañana“ sehr beschwingt ab. Ein scheinbarer Gegensatz zur akustischen Gitarre und Klavier im Country-Rhythmus, die meinen Lieblingssong „Bubucelas“ einleiten, ein melancholisches Liebeslied, das aber keineswegs traurig macht. Auch die weiteren vier Songs u.a. mit den Gastsänger(inne)n Pamela Rodríguez und Sergio Saba halten das anspruchsvolle Niveau einer Wundertüte voller Überraschungen. Wundersame und vielschichtige Folk-Pop-Perlen mit einer düster-karnevalesken Grundstimmung, die man sich geduldig entwickeln lassen sollte. Stellen Sie den CD-Spieler (falls Sie noch einen haben) auf Repeat!

Von einer Musik der Sklaven hat sich die afroperuanische Musik in den vergangenen 100 Jahren zu einer nationalen Musik entwickelt und ist mit Bands wie Novalima im elektronischen Zeitalter angekommen. Die siebenköpfige Truppe legt mit Planetario nun ihr fünftes Album vor und globalisiert mit vielen internationalen Gästen die heimischen Klänge.

Novalima
Planetario
Wonderwheel

Mit afroperuanischer Perkussion, die in Dancefloorelektronik übergeht, startet die Singleauskopplung „Como yo“, ein Song, der das Leben feiert und damit einen Wunsch von Mangue Vasqzuez erfüllt, dem 2014 verstorbenen Perkussionisten der Band. ¡Pura Vida! – Genieße das Leben!, heißt es auch im zweiten Song „Beto Kele“, einer cumbia, in der neben der Stimme der Kolumbianerin Eka Muñoz (von der Band Sidestepper) zum Beat eine gaita cajamarca erklingt, eine alte peruanische Doppelflöte, mein Favorit auf dem Album, hör- und sehr tanzbar.

Novalima belassen es aber nicht bei Ausflügen in die afro-kolumbianische Musik, sie flechten auch kubanische Elemente ein in ihr Gerüst aus akustischer und elektronischer Percussion. U.a. in „Santero“ oder im vom kubanischen Rapper Kumar mitgesungenen „Mi canto“, das sich um die Ahnen(kulte) dreht. „Tinkalamina“ und „Memekume“ werden geprägt von einem schwirrenden Gitarrenspiel, welches sich elegant über die Beats legt. Selten beginnen die allzu einfachen Rhythmen und repetitiven Texte zu nerven, wie in „San Antonio“, einem traditionellen peruanischen Lied. Novalima kombinieren Tradition und globale DJ-Kultur sehr geschickt, was im Song „Quebranto“ von Tato Guzmán deutlich wird: die Aufnahme eines traditionellen Liedes aus den 1950er Jahren der Sängerin Rosa Guzmán wird mit den Klängen der cajón (die in Peru erfunden wurde) und elektronischen Beeps elegant ins 21. Jahrhundert katapultiert. „Tanzmusik“ greift zu kurz als Bezeichnung für diese Musik, aber tanzbar ist sie allemal.

Cover: amazon