Tequila-Moral für Saubermänner (02/2012)

Ach Jung, weißt du noch…
Achjung und ich haben uns am Tresen im Bierhimmel fest gekettet und versuchen für einen Augenblick, die Realität auszubeamen.
Ach Jung, unser letztes gemeinsames echtes Bierfrühstück… Du und ich, von der Dorfdisco nach Hause getramt oder doch gelaufen, Georg Danzer auf die Ohren zum Einschlafen und dann das glückselige Erwachen: Eltern im Urlaub, blau machen, blau werden, ohne das Bett zu verlassen. Mit ungetrübter Lebensfreude ziehen wir Bierchen um Bierchen, es wird dunkel und wir schlafen uns mit Danzers Legendärem Wixerblues vom 7.10.1976 ins Wochenende.

Das letzte echte Bierfrühstück fällt auf den Tag genau auf 13 Jahre nach dem Wixerblues und 21 Jahre vor dem Jetzt. Nur der Traum ist mir geblieben. Jedes Mal blinzele ich, ob sich der ewige Glücksmoment des morgendlichen Dämmerzustandes endlich bewahrheitet, ob mein Liebster mit einer Dose Tecate oder Modelo, von mir aus auch Jever und einem geeisten Glas auf einem einfachen Tablett drapiert, vor mir steht, um mich nur ein einziges Mal im Leben glücklich zu wecken.

Ne, das mach ich nicht. Du kannst doch nicht am frühen Morgen schon an Bier denken. Vor der Arbeit Bier trinken? In solchen Momenten bist du mir echt fremd. Wenn du magst, geh ich Brötchen holen – frische Brötchen und selbstgekochte Marmelade. Mmmh.

Dann auf dem Weg zur Arbeit kreisen meine Gedanken um einen Zweitfreund – oh Wunder. Es müsste ein Mensch sein, der mir ohne sinnloses Morgengelabere, dafür mit herrlich hopfig Wohltemperiertem die Welt versüßt. In mein beflügeltes, zufriedenes Lächeln, erklingt die Stimme meines spießbürgerlichen Angetrauteten und seine Miniaturausgabe in protestantisches Gewandet gehüllt, erscheint vor meinem geistigen Auge:
Du imaginierst ein Doppelleben. Himmel steh uns bei! Bier und Bigamie. Welch Schande über unsere Familie.

Mein literarischer Held ist Carlos Hernández, Polizist aus Mexiko Stadt. Als Officer im Mittelbau verdient er legal den Unterhalt für seine Frau und seine beiden Kinder sowie für seine Freundin und seine beiden Kinder. Legal meint nicht, dass das offizielle Gehalt auch nur annähernd zur Zufriedenstellung beider Familien reichen würde, nicht einmal allein käme Hernández über die Runden, aber die geduldeten bzw. von höherer Stelle gewünschten Zusatzeinkünfte verstoßen gegen keine katholisch mexikanischen Moralvorstellungen.

Der Tequila-Effekt
Rolo Diez

180 Seiten
Distel-Verlag (2002)
ISBN-10: 3923208707
ISBN-13: 978-3923208708

Beide Frauen beklagen sich über zu wenig Zeit für die Familie, inszenieren Eifersüchteleinen und erdrücken doch den ewig treuen Polizisten mit ihrer Liebe. Der genießt und flieht ab und an in die Arme einer aztekischen Blume oder der wunderschönen Rosario. Einst als Haushälterin in einer seiner Familien tätig, wurde Rosario von Carlos Hernández in das freischaffende Gewerbe in der Zona Rosa eingeführt. Als Dank ist ihm ihre Zuneigung in Form von allerlei Gefälligkeiten und auch Finanziellem gewiss.

Die Beziehung zu seinem Chef grenzt an eine Vater-Sohn Hassliebe. Einzig auf kleine Rituale und ihre Bedeutung kann sich Herández verlassen, wenn er das Büro des Kommandanten betritt. Wird ihm die Zigarette gereicht, dann stehen heikle Aufgaben bevor. Um Extragelder zur Bewältigung dieser wird dann ausgiebig gefeilscht, auch mit Tequila. Neben den dummdreisten, nichtsnutzigen Mitstreiterinnen und -streitern seiner Abteilung, die für jeden Fingen, den sie rühren, die Hand aufhalten, angeführt vom ewig müden Silberpfeil, erfährt Hernández Unterstützung und Freundschaft im Recherchemonster aus den Katakomben. Quasimodo, meist am Gras berauscht, eignet sich wunderbar zur Wahrheitsfindung im Verhör.

Und all dieses hier lediglich angerissene Beziehungskonstrukt basiert auf einer einzigen Handlung voller Liebe und Zuneigung: dem stets exakt temperierten Cuaguama-Bier, gereicht zur Stunde des Erwachens von irgendeiner wundervollen Vertrauten.

Ach Jung, ich werde Mama. Kommt meine Tochter nach mir, dann besteht die Chance auf mexikanisch beglückende Ritualisierungen im tristen Alltag meines Daseins. Kommt sie nach dem Moralisten, den ich salziges Täubchen der Enthaltsamkeit nenne, dann Oh Allmächtiger sei meiner Seele gnädig und führe mich in den Bierhimmel in Kreuzberg. Und wenn du schon dabei bist, lass den Danzer noh oimal die Sonn aufgehn sehn für einen Tequila wider der protestantischen Enthaltsamkeit.

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