Roadmovie und Kopfkino (07/2012)

Zwei wunderbare Alben nehmen uns mit auf Reisen, die sich beide an der Vergangenheit und der Welt des Kinos orientieren.

Ein fiktiver Wanderzirkus bildet das Motiv für das neue Album von Céu aus São Paulo. Die fahrenden Artisten „Caravana Rolidei“ waren die Protagonisten des brasilianischen Kultfilms „Bye, bye Brazil“ aus dem Jahre 1979. Ihre Reise durch das Land setzt Céu nach eigener Auskunft in einer „Sammlung von Kurzgeschichten“ um, die klanglich zwischen psychedelischen Orgeln, Soul, Tropicalia, Surfgitarren, Ska, Samba und Bigband-Sounds hin und her wandern; die Retro-Referenz an die 60er und 70er Jahre ist in diesem Super-8-Film immer inbegriffen: Ob es nun die rockig-psychedelischen Sounds der Orgel und Surfgitarren in „Falta de ar“ oder in „Amor de antigos“ sind, der Bigbandjazz in „Contravento“ oder aber der von Clowns handelnde Bossa „Palhaco“, der in elektrische schräge Sounds abdriftet.

Céu
Caravana sereja bloom
Six degrees / Exil

„Retrovisor“ überrascht mit einer Kombination von Farfisaorgel-Klängen und Surfgitarre, das englisch gesungene „Streets bloom“ erinnert an die Musik von Portishead. Der zweite, längere anglophone Song, der Reggae-Klassiker „You won’t regret“ ist das nervigste Stück auf dem Album. Den Reise- bzw. Jahrmarktcharakter untersteichen die kleinen, mit Geräuschen Interludes, die mal nach Wildwest klingen, mal nach LSD-Trip. Wenige lateinamerikanische „Spurenelemente“, wie ein Cumbia-Rhythmus in „Contravento“ oder ein Chachacha in „FFFree“ verweisen noch auf Céus Heimatkontinent. „Caravana sereja bloom“ ist ein schönes Roadmovie, lediglich getrübt durch die sehr kurze Spieldauer von 36 Minuten (die eher zum Download einlädt, als zum CD-Kauf).

„Kopfkino“ ist der zutreffendste Begriff, der mir beim Hören des neuen Albums von Gaby Moreno einfällt. Denn dass Sie sich auch von sog. „Illustrated Songs“ hat inspirieren lassen, ist bei vielen Songs hörbar. Diese mit Musik untermalten Diaprojektionen dienten in den 1920er Jahren dazu, die durch den Rollenwechsel erzwungenen Pausen zwischen zwei Filmen zu überbrücken.

Gaby Moreno
Illustrated Songs
World Connection / Q-rious

Die gebürtige Guatemaltekin verknüpft in ihrer Musik lateinamerikanische Traditionen mit Blues und altem Jazz, die sie im Alter von 14 Jahren auf einer Urlaubsreise nach New York entdeckte. Mal klingt ihre Stimme mädchenhaft wie im Eröffnungssong „Intento“, der mit Streichern erhaben und sanft daherkommt oder in der Ballade „Y tu sombra“, dann wieder hart und laut wie im mit fetzigen Bläsern durchsetzten Bluesrock „Mess a good thing“ oder in „Garrick“, einem Stück, das auf „Reir llorando“, einem Gedicht des Mexikaners Juan De Dios Peza, basiert. Die melancholische Geschichte eines traurigen Komödianten erhält durch die Arrangements und Morenos Dialog mit Bob Mintzer’s Bassklarinette einen jazzigen Charakter.

Moreno wechselt beim Gesang zwischen ihrer Muttersprache und Englisch, seit sie mit 19 Jahren in die USA übersiedelte. Das Album wurde stark von der Musik der wilden 1920er Jahre inspiriert und tatsächlich haben viele Stücke Kabarett-Charakter, wie der Ragtime „Mean old circus“ oder „Daydream by design“, in denen ein Saloon-Piano erklingt. Das Repertoire spannt sich aber noch weiter. In „Fin“ erklingen kitschige Hawaiigitarren, während im besten Songs des Albums, „Ave que emigra“, rockige Mandoline und Bass zu hören sind. Ein fröhlicher Folksong, mit traurigem Inhalt: Moreno behandelt darin ihre Immigrationsgeschichte und die feindlichen Anti-Migrationsgesetze in den USA: „Vengo desde muy lejos…“.

„Sing Me Life“ orientiert sich am Soul der 60er Jahre, mit starken Bläsersätzen und rockiger Gitarre. Die 30jährige Sängerin und Gitarristin hat mit „Illustrated Songs“ ein Album vorgelegt, das bezüglich seiner Originalität für dieses Jahr Maßstäbe setzt.

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