República del Pisco

Zu Fuß durch das Valle Sagrado

Milos hatte mir den Tipp geben. Nach etwa vier oder fünf Gläsern Wein sagte er zu mir: „República del Pisco, da musst Du hin. Wenn Du schon nach Cusco fliegst, dann schicke mir doch bitte unbedingt ein Bild mit Dir und einem Pisco Sour in der Hand. Aus diesem Laden. An den habe ich die besten Erinnerungen“. Das also war die Aufgabe.

Ich kenne natürlich einen Pisco Sour und irgendwie kenne ich auch die Pisco-Republik, genau dorthin wollte ich ja, um mir das Heilige Tal mal wieder um die Nase wehen zu lassen. Die Bar „República del Pisco“ allerdings war mir nicht unmittelbar ein Begriff. Zugegebenermaßen mag ich solche Tipps auch nicht so gerne, denn wenn jemand einmal der Magie eines Ortes verfallen ist, dann ist das ganz subjektiv. Und umso subjektiver, je mehr man vom Pisco intus hat. Aber, ich bin manchmal ja ein handzahmer Gast, versprach es natürlich. Trank mein Weinglas aus und ging packen.

Cusco also war mein Ziel, oder besser: Das Heilige Tal drumherum. Denn nirgendwo sonst kann man so geballt der Kultur der Inkas nachspüren wie im Valle Sagrado und ihrer Inka-Hauptstadt Cusco. Nach einer 21-ständigen Flugodyssee war ich dann endlich am Ziel. 21 Uhr, stockdunkel und saukalt.

Zwei Züge der kühlen Luft sog ich in mir auf, dann ging es zu Juan in den Bus und weiter ins Hotel im Heiligen Tal. Erste Enttäuschung: Natürlich fuhren wir nicht über die Plaza de Armas, nicht vorbei an der wunderschönen Kathedrale und erst recht nicht vorbei an der gepriesenen República del Pisco. Stattdessen ging es auf dem schnellsten Weg hinauf auf den Berg, um anschließend weiter in das Heilige Tal einzutauchen, wo auch mein Hotel lag.

Nachdem wir das leuchtende Cusco recht schnell über die Serpentinen bergauf verlassen hatten, passierten wir ein großes Schild: Sacsayhuaman. Schmunzeln. Erinnern. Bei meinem ersten Cusco Besuch Anfang 2000 wurde ich hier Zeuge einer beeindruckenden Parade bzw. deren Vorbereitung.
Unzählige peruanische Schulkinder in rotweißen Gewändern haben hier ihre Formationen eingeübt. Und natürlich habe ich noch das „Sexy Woman“ (Sacsayhuaman) im Ohr, denn genau so klingt es, wenn die vornehmlich englischsprachigen Touristen den Namen der Ruinen aussprechen mussten. Wenig verwunderlich, dass das auch heute noch so klingt.

Die Ruinen mit den dicken Mauern sind imposant. Ein von Menschen erbauter Schutzschild, um die Inka-Hauptstadt vor Eindringlingen zu schützen. Gebracht hat es dem Volk letzten Endes nichts, die Spanier waren zu übermächtig. Die Ruinen sind aber ein Muss, selbst wenn der Weg dorthin von Cusco aus etwas Kondition erfordert. Zumindest, wenn man ihn zu Fuß bewältigt. Dann heißt es nämlich, hunderte Treppenstufen bergauf, ehe man die alten Mauern zu Gesicht bekommt.

Wir sind schon auf dem Weg hinunter. Der Urubamba glitzert, ein Hauch von einem Mond strahlt von oben herab, die Sterne leuchten. Nach insgesamt 24 Stunden Reise liege ich im Bett. Im Heiligen Tal, hundemüde und doch ist an richtigen Schlaf gar nicht zu denken. Die Höhe. Die dünne Luft, die anderen Gerüche. Ich bin im Reisemodus. Irgendwann schlafe ich unter meiner dicken Decke doch ein. Und Träume.

Der Weg. Immer wieder nur der Weg. Die Gier nach Neuem, dem Verlangen, alles aus fremden Menschen herauszukitzeln, die Notwendigkeit am Leben teilzunehmen. Manchmal sieht man den Weg als solchen gar nicht. Manchmal ist er beschwerlich. Manchmal merkt man schnell, dass der Weg nur in die Irre führen kann, um ihn dann trotzdem zu gehen. Man lässt nicht locker. Geht Schritt für Schritt, immer weiter. Weil man das Gefühl einfach nicht abschütteln kann, dass dort hinten, ganz hinten, dort hinter der letzten Türe natürlich direkt das Paradies wartet. Ja, warten muss. Weniger geht nicht, denn sonst wäre der Weg von vornherein zum Scheitern verurteilt, was unserem positiven Selbstverständnis nicht besonders zuträglich wäre. Zumindest meinem nicht. Wie leicht wir doch immer wieder auszurechnen sind.

Die nächsten Tage wandere ich – und staune. Beim letzten Mal bin ich noch per Anhalter durch das Heilige Tal getrampt, vieles war verlassen, vergleichsweise unberührt und nur ein paar Individual-Touristen wagten sich alleine mit den lokalen Bussen zu den unzähligen Ruinen zwischen Pisac und Ollantaytambo. Der Rest fuhr mit dem Zug von Cusco nach Aguas Calientes, um Machu Picchu zu besteigen. Das ist auch heute noch so. Der Zug ist teuer, Macchu Picchu ist teuer und mittlerweile werden die Tickets nach Eintrittszeit verkauft. Man bekommt also einen Slot zugeteilt, vorher oder danach gilt der Eintritt also nicht. Nur so könne man die massiven Besucherströme noch zuverlässig begegnen.

Diesmal verzichte ich auf einen Besuch. Freiwillig. Wahrscheinlich für immer. Schließlich war ich zwei Mal dort und schon beim zweiten Mal war diese besondere Magie der Ruinenstätte für mich nicht mehr die gleiche. Heute ist alles anders, denke ich bei mir und klinge wie ein alter Sack.

Wahrscheinlich bin ich das auch irgendwie. Wie kann ich mich wundern, dass das Heilige Tal binnen 15 Jahren die Infrastruktur ausbaut, wie kann ich mich wundern, dass die Goldgrube Perus, denn genau das ist Machu Picchu, noch immer nicht die Pläne für eine Seilbahn zu den Ruinen begraben hat, wo Wissenschaftler schon jetzt warnen, dass viel zu viele Touristen auf den alten Mauern herumklettern, wie kann ich mich wundern, dass hier am Altiplano auch noch ein Flughafen gebaut werden soll. Der Mensch errichtet es und wir setzen alles daran, dass es auch wieder zerstört wird. So ist der Gang der Dinge. Überall. Durchatmen.

Nach 40 Minuten Wanderung bergab wird es heller. Die Sonne durchdringt den grauen Nebelschleier, der sich hier auf über 4.000 Meter über dem Meeresspiegel gerne morgens einnistet. Vorbei an zwei Jungen, die Schafe hüten. Und dann sehe ich die Ruinen von Moray. „Das Gewächshaus der Inkas“, erklärt mein Begleiter Santos. Die Wissenschaft stützt die These, dass die hier in den Kalkstein gehauenen kreisförmigen Ebenen mit unterschiedlichen Mikroklimata dazu genutzt wurden, um mit dem Anbau von Nahrung zu experimentieren. So fand man hier Muscheln aus dem Meer in der Erde, aber auch Guano von Vögeln, die hier nicht leben. All das hat man von der 1.000 Kilometer entfernten Küste aus in die Berge gebracht. „Den Inka-Herrschern war das Essen offenbar schon immer recht wichtig“, lacht Santos. Wie Recht er doch damit hat. Peru ist ja kulinarisch inzwischen auch ein Hotspot geworden. Virgilio Martínez ist einer der jungen Wilden, sein Restaurant Central in Lima wurde unter die zehn besten Restaurants weltweit gewählt. Auch er hat sich in das Heilige Tal verliebt, vor allem in die facettenreiche Andenküche, die hier noch auf den Tisch kommt.

Unweit der Ruinen hat er jetzt das Mil aufgemacht. Nur mittags geöffnet, zudem schwer zugänglich. „Mir gefällt der Gedanke, dass man hier in die Anden kommen muss, um meine ganz auf diese Region reduzierte Küche zu erleben“. Dabei spielt die Kartoffel eine gewichtige Rolle. Über 4.000 Sorten soll es hier geben, in allen nur erdenklichen Formen und Farben. Virgilio bezieht sie von Manuel Choque, einem ausgewiesenen Experten des Kartoffelanbaus. Der studierte Agrarwart hat zwölf lange Jahre über 350 Sorten davon untersucht. Das Ergebnis: „Bei uns haben die Kartoffeln bis zu zehn Mal mehr Vitamine und wirken antioxidantisch“. Kein Wunder also, dass die Knolle bei jeglichen Wehwehchen als Allheilmittel gepriesen wird. Wobei der natürliche Enzündungshemmer den Inkas auch nicht helfen konnte, ihre relativ kurze Regentschaft von etwa einhundert Jahren zu verlängern. Dann kamen die Spanier und der Rest ist bekannt.

Aber sie waren auch tüchtig und haben der Nachwelt so schöne wie mysteriöse Ruinen hinterlassen. Eine Handvoll schafft man wohl an einem Tag, aber das wäre ihnen gegenüber nicht fair. Also ruhig ein paar Tage, gerne auch ein oder zwei Wochen einplanen. Schließlich ist der Weg das Ziel und ganz nebenbei kann man sich immer wieder mit der Andenküche stärken, die weit mehr ist, als nur Kartoffel samt Salz von Salineras der Maras (unbedingt hinwandern) und Abends bekommt man in den Bars auch lokales Bier oder regionalen Gin. Und selbstverständlich gibt es auch den Pisco, wie auch nicht?!

Ein bisschen schlechtes Gewissen habe ich allerdings schon. Denn zur República del Pisco habe ich es diesmal nicht geschafft. Zu wenig Zeit, zu viel Weg. Genossen habe ich es dennoch. Auch, oder gerade weil ich mir Machu Picchu nicht mehr antun musste.