Paris, London, Buenos Aires – Eine Stadt im Wandel

Eigentlich haben wir es alle immer geahnt, jetzt endlich haben wir Gewissheit: In Zukunft wird Buenos Aires in einem Atemzug mit Paris und London genannt werden. Immer! – Und das nicht zu unrecht. Die Porteños selbst haben es ja schon seit jeher gewusst, dass ihre pulsierende Metropole ganz oben auf der Liste der schönsten Städte dieses Erdballs steht. Zumindest diejenigen, die die ganz alten Zeiten miterlebt haben. Damals, als die Stadt in den 20er und 30er Jahren den Tango für sich entdeckte und gleichzeitig die Boheme der Welt anzog, die Geschäfte florierten und die goldenen Zeiten wirklich golden waren.

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Inzwischen bahnt sich ein Generationswechsel an. Kinder, die eine Militärdiktatur überstanden haben, sind inzwischen groß geworden. Sie mussten zusehen, wie die Weltmeisterschaft 1990 verloren ging und durften schließlich den großen wirtschaftlichen Crash 2001 am eigenen Leib erfahren. Viele von ihnen würden liebend gerne die Stadt eher heute denn morgen verlassen, wenn sie nur könnten.

Buenos Aires ist eine Stadt der Gegensätze geworden. Die alten, wundervollen Häuser und Villen aus den tiempos dorados, die gibt es noch immer. Sie glänzen zwar nicht mehr ganz so, ziehen jährlich aber dennoch Tausende Touristen an, die vermehrt den starken Euro im Gepäck haben. Die Inflation ist hoch wie nie. Beim Spaziergang durch die von Verkehr verstopfte Innenstadt – die Fußgängerzone einmal ausgenommen – fällt diese jedoch nicht weiter auf. Aber es leben nun mal über 50 Prozent der Bevölkerung unterhalb der berühmten Armutsgrenze. Und die liegt deutlich unter 500 argentinischen Pesos. Beim derzeitigen Wechselkurs also unterhalb 100 Euro. Pro Monat. Der gewöhnliche Tourist bekommt diese Armut in der Regel selten bis gar nicht zu Gesicht.

Gut lebt der, der Geld hat in der großen Stadt. Wie überall sonst auch auf dieser Welt. Buenos Aires macht es dem Touristen so herrlich einfach, die Tage zu genießen. Ein bisschen Tango in La Boca, ein kurzes Flanieren auf dem Cementerio de Ricoleta mit einem Anstandsbesuch bei Evita – nach wie vor in Grab 57 – schließlich auf ein saftiges Steak im Puerto Madero. Dann kann sie kommen die Nacht der tausend Möglichkeiten.

buenos_aires_2Ich mag die Stadt. Ich mochte sie vom ersten Moment an und werde sie weiter lieben. Aber diese Liebe durchlebt gerade eine harte Phase. Nein, keine Trennung auf Probe, aber die Sache mit uneingeschränkter Zuneigung steht auf dem Prüfstand. Wir kennen uns vielleicht doch schon zu lange und zu intensiv.

Jetzt soll es Paris und London sein. Vor einem Jahr hat dieses unsägliche Gerede begonnen. Verständlich, man muss sich ablenken und die schönen Tage sind wichtig für die Moral der Gesellschaft, die, ganz im Gegensatz zu manch hochrangigem Politiker, noch welche zu haben scheint. Der einfache Grund: es hat im vergangenen Juli in der Stadt der guten Lüfte geschneit. Ein Drama war das, zumal viele der Bewohner noch nie Schnee zu Gesicht bekommen haben. Denn der fällt in der Stadt normalerweise nicht. In Mar de Plata oder im benachbarten La Plata kann das schon mal vorkommen. Aber in der 14 Millionen Einwohner Metropole?

Bizarre Momente ließen sich auf den Straßen beobachten. Frauen wie Männer standen einfach nur da und beobachteten die Schneeflöckchen. Busfahrer stiegen aus und reckten ihre Handflächen nach oben, um das kalte Nass auf der Haut spüren zu können. Jubel, Trubel, Heiterkeit – wir sind Paris. Dabei fällt es auch nicht ins Gewicht, dass wieder zig Menschen an einer Kohlenmonoxidvergiftung starben, weil die Holz- und Gasheizungen nicht ordnungsgemäß funktionierten. Wir sind immerhin Paris.

Von London wusste zu dieser Zeit noch niemand. Erst als die Stadtkulisse jüngst im April in einen tiefen Nebelschleier gehüllt war, kam es zu dem Vergleich. Dumm nur, dass dieser Nebel weitgehend von Menschen gemacht und mit einem englischen Fog so gar nicht zu vergleichen war: doch über brennende Augen, schweres Atmen und kratzende Kehlen konnte man sich in der Stadt der guten Lüfte unterhalten.

buenos_aires_3Schuld waren die Bauern, die in geradezu anachronistische Verhaltensmuster zurückfielen. Sie fackelten ihre Felder ab, um sie für die nächste Saat fruchtbar zu machen. Das ist in Argentinien nicht einmal verboten. Problematisch wurde es nur deshalb, da es ein paar Bauern gleichzeitig versuchten, es außer Kontrolle geriet und schließlich – zaghaften Schätzungen zufolge – 140 Hektar in Flammen standen.

„Pastizales“ nennt man das Abbrennen des Bodens, was eine Rauchentwicklung nach sich zieht, die ihresgleichen sucht. Kritische Stimmen behaupten, dass nicht nur die abgeernteten Felder als Feuerfutter dienten, sondern auch anderer unliebsamer Tand seinen Weg in die Flammen fand. Das immerhin würde den beißenden Geruch und das Brennen in den Augen des „humo“ irgendwie erklären. „No es toxico“, ließ die Stadt verkünden. Macht weiter wie bisher, verkürzt einfach die Zeit auf der Straße, schließt die Fenster; es sieht doch immerhin nett aus. Wie in London eben. In einer Stadt mit 14 Millionen Einwohnern haben aber leider viele nicht die Möglichkeit, mal eben zu Hause zu bleiben, um sich nicht hölzernem Smog auszusetzen. Zwischenzeitlich hat man den vor allem für nationale Verbindungen zuständigen Flughafen Aeroparque gesperrt und auch vom zentralen Busbahnhof befuhren keine Busse mehr die nördlichen Routen. Auf den Straßen war die Sicht vielerorts deutlich unter 50 Meter. Kein Wunder also, dass die Zahl der Verkehrsunfälle noch einmal über der ohnehin schon erschreckenden Quote lag.

Verwundert reibt der Beobachter seine Augen, doch nicht nur ob des Rauches, sondern vor allem, weil die Regierung weitgehend tatenlos alles geschehen ließ. Mauricio Macri, neuer Bürgermeister und Ex-Präsident von Boca Juniors, beschloss, erstmal nichts zu unternehmen. Nach drei Tagen dann wurden 80 Feuerwehrleute organisiert, die peu a peu auf 240 anwuchsen. Genützt hat es dem Krieg gegen die Flammen wenig. Die brennen teilweise noch immer, wenngleich man die einzelnen Herde nach knapp 20 Tagen in den Griff bekommen hat und der Wind den Rauch aus der Stadt vertreibt.

buenos_aires_1Weil aber irgendjemand dann doch zur Verantwortung gezogen werden muss, wurde jetzt ganz formal die Umweltministerin Romina Picolotti angeklagt. Fahrlässiger Sachschaden und Körperverletzung sowie Nichterfüllung ihrer ministerialen Aufgaben lautet der Vorwurf. Es könnte gut sein, dass sie ihren Hut nehmen muss.

Der Zeitpunkt der Anklage hätte auch nicht besser gewählt sein können. Wer jetzt nämlich in Buenos Aires aus seiner Haustür tritt, der hat zwar noch immer den Russgeruch in den Nasenschleimhäuten, aber weitgehend freie Sicht und keine roten Augen mehr. Und die Prognosen für den Wonnemonat Mai sind sogar soweit, dass sich der Rauch tatsächlich vollkommen aus der Stadt verabschieden wird. Vielleicht wird Buenos Aires ja dann in Zukunft jahreszeitenweise abwechselnd einmal Paris und einmal London sein dürfen. Wenn auch nur für ein paar Tage oder Wochen.