Nicht nur andine… Musik aus Peru (02/2015)

Nach peruanischer Musik gefragt, wird der Durchschnittsdeutsche an die bunt gekleideten Männer mit Panflöten etc. in der Fußgängerzone denken, die „El cóndor pasa“ spielen, manchmal auch internationales Liedgut – „Somewhere over the rainbow“ – im andinischen Stil. Krzysztof Wiernicki beginnt seine auf vier CDs verteilte, kurze Geschichte der Musik Perus auch mit diesem Lied und o.g. Musikern. Er erklärt den Ursprung des Liedes, das als Finale einer Zarzuela aus acht Teilen diente, und erst durch Simon & Garfunkel international bekannt gemacht wurde, 1970. Ihre englischsprachige Version (mit neuem Text) wurde zu einer der meistverkauften Platten der Welt in jenem Jahr, allerdings „vergaßen“ sie den originalen Urheber des Liedes zu nennen, den Komponisten Daniel Alomía Robles.

Die vier CDs mit vielen Musikbeispielen räumen ansonsten aber mit dem Klischee auf, dass aus Peru nur Panflötenspieler kommen. Sie folgen – zunächst – der Unterteilung Perus in die drei geographischen Großräume sierra (CD Nr. 1), costa (Nr. 2) und selva (Nr. 3, nur der Anfang), die jeweils andere Musikstile hervorgebracht haben. Auf der 3. und 4. CD finden sich dann auch die Entwicklung der peruanischen Kunstmusik und – eingeschränkt – die verschiedenen modernen Stile des 20. Jahrhunderts.

Krzysztof Wiernicki (Hg.)
Nicht nur andine… Musik aus Peru
onomato Verlag 2012

In der sierra lebt der größte Teil der indigenen Bevölkerung Perus (45%), und dort haben sich viele Musikarten und Tänze aus vorspanischer Zeit erhalten. So stellt uns Wiernicki den Yaravi-Gesang vor; auch das von den Inka stammende Inti Raymi-Fest (Sommerfest in Cuzco) und der Tijera-Tanz werden ausführlich beschrieben. Er erklärt, dass das heute in der indigenen Musik so typische kleine Zupfinstrument – das charango – erst spät in diese Musik integriert wurde, und dass heute die beliebteste Musik (und Tanz) in den Anden der Huayño ist: eine Mestizo-Musik mit indigenen und spanischen Anteilen, die von über 40 Radiostationen ausschließlich gespielt wird.

Der Huayño wurde im urbanen Umfeld in den 1960ern zur chicha und von Gruppen wie „El Polen“ mit cumbia und Rock kombiniert. Heute erlebt diese Musik ein Revival, auch dank der Arbeit einiger Hobby-Musikologen (siehe caiman 1/ 2014 und 12/ 2014). Die schwarzen Sklaven in Peru behielten wenig von ihren Mythen und Traditionen, da sie zuvor häufig schon in anderen Häfen (Panama) vermischt worden waren. So blieben von einem Stamm immer nur wenige zusammen. Sie mussten miteinander auskommen, dabei halfen das Rhythmusgefühl und die gemeinsamen Instrumente. Ihre Nachfahren (rund 3% der Bevölkerung) leben heute vor allem an der Küste (costa). Die Sklaven erfanden die cajón, ein heute international beliebtes Perkussionsinstrument. Warum, dazu präsentiert Wiernicki einige Theorien, von denen mir diejenige am glaubwürdigsten erscheint, die besagt, dass die Spanier den Sklaven irgendwann Musik und Tanz verboten, vor allem das Spiel der tambores, da die Kirche heidnisches Tun vermutete und der Vize-König rebellische Kommunikation. Die Sklaven bastelten dann aus Holzkisten als Ersatz die cajón.

Desweiteren werden die Tänze an der Küste erklärt und die Entstehung der sehr ausdifferenzierten, peruanischen Form des Walzers (von der momentan in Berlin lebenden Musikwissenschaftlerin Virginia Yep) sowie der música criolla. Die letzten beiden Kapitel der CD widmen sich den in Peru als „Nationalsängerinnen“ verehrten Lucia Reyes und Chabuca Granda, die mit „La flor de la canela“ das international berühmteste peruanische Lied schrieb.

Auf der dritten CD führt uns die Reise durch die peruanische Musikgeschichte zunächst ins Amazonasgebiet (selva), wo viele indigene Stämme leben, darunter die Asháninka, die der Musikethnologe Abraham Padilla besuchte. Aus seinen Erfahrungen komponierte er eine Symphonie mit indigenen Stimmen/Gesängen (2009), aus der ein Ausschnitt zu hören ist. Nach einem längeren Diskurs zur Geschichte der Kolonialisierung widmet sich Wiernicki den Jesuiten, die für die Musikgeschichte Lateinamerikas wichtig waren, weil sie den Indigenen europäische Instrumente/Musik nahe gebracht haben, und u.a. Clavichorde und Orgeln importierten bzw. bauten. Seit dem Jahr 1612 hatte die Kathedrale von Lima einen (spanischen) Kapellmeister, was dem Musikleben einen Schub gab, verstärkt durch politische Entscheidungen: so ordnete im Jahr 1614 der Erzbischof an, sämtliche indigenen Instrumente zu verbrennen, was dazu führte, dass die erste religiöse Polyphonie auf Quechua entstand. Es folgte die erste peruanische Oper (1680). Mit der Unabhängigkeit von Spanien nahm die Bedeutung der Kirche in der Musik ab, villancitos waren nun das beliebteste Genre, die Oper stand ganz unter italienischem Einfluss. So war es mit Claudio Rebagliati auch ein Italiener, der 1863 nach Lima kam, die neue Version der Nationalhymne schrieb, Generationen von Komponisten ausbildete und die Musik aus Europa (Schubert, Haydn, Händel etc.) im Land bekannt machte.

Nach dem verlorenen Krieg gegen Chile stellte sich in den 1880er Jahren ökonomischer Wohlstand ein. Mit ihm steigerte sich das Bedürfnis nach Musik, dem die Komponisten Rechnung trugen. Inspiriert durch die politischen Ereignisse hielt auch in Peru eine nationale Strömung Einzug in die Kunstmusik, wie wir auf der vierten CD hören. Ein weiterer wichtiger Impuls für die klassische Musik in Peru war die Ankunft von vor den Nazis flüchtenden Künstlern aus Europa: so stellte der Wiener Theo Buchwald ein Nationalorchester zusammen, Rudolf Holzmann aus Breslau erforschte die Folkloremusik und Andrés Sas (Belgier) integrierte eben diese in seine Kompositionen. Sie beeinflussten Peruaner wie César Bolaños, der nach Studien in den USA und Argentinien, elektroakustische Musik komponierte und die Erforschung der Folklore vorantrieb. Und hier, in der Moderne, setzt auch der einzige Kritikpunkt dieser lehrreichen und tollen Produktion ein: Stile wie Jazz und Rock werden sehr kurz angeschnitten, mit Einschränkungen, mit wenig repräsentativen Exponenten und ohne die verschiedenen Ausformungen zu betrachten. DJ-Kultur, Popsänger, Punk, Elektronik, und die modernen Mischformen der Folklore finden leider keinen Platz mehr.

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