Impressionen aus der Extremadura II

Nachdem wir Euch im Juni in die mittelalterlichen Gassen von Cáceres und die heroische Einsamkeit des Burgbergs von Trujillo entführt haben, geht unsere Reise durch die Extremadura diesmal nach Nordwesten bis zur portugiesischen Grenze. Morgens um 10 macht sich unsere Vierergruppe auf den Weg. Kurz hinter Cáceres sind die üblichen Steineichenwälder durchsetzt mit gigantischen Felsblöcken, die wie zufällig dahin gestreute Riesenmurmeln in der Ebene liegen. Danach wird die Landschaft flacher und man sieht abwechselnd Schafe und schwarze Kampfstiere auf den Weiden, darüber ziehen die in der Provinz Cáceres allgegenwärtigen Störche elegante Kreise.

alcantaraSchon angepasst an den ruhigen Lebensrhythmus der Extremadura, nähern wir uns langsam dem ersten der drei heutigen Ziele.

Arroyo de la Luz, ein Schäferdorf, das vor uns in der Ebene auftaucht und apathisch dösend in der Mittagshitze liegt, hat auf den ersten Blick wirklich nichts Besonderes zu bieten. Bis auf seinen schönen mystisch angehauchten Namen: Strom des Lichts. Dieser Name wirkt wie ein Hinweis auf den verborgenen Schatz des Dorfes, denn in der Pfarrkirche Santa María de la Asunción (Mariä Himmelfahrt) befindet sich einer der schönsten Renaissance-Hochaltäre Spaniens.

Am Kirchenportal hängt ein Hand geschriebener Zettel: „Den Schlüssel zur Kirche bitte beim Dorfpolizisten im Rathaus abholen.“ Zum Glück liegt das Rathaus direkt gegenüber und ist von überschaubarer Größe, so dass wir uns schnell bis zum einzigen Polizisten des Ortes durchgefragt haben. Der begrüßt uns sehr freundlich und ist sichtbar froh, dass es endlich mal was zu tun gibt, denn eine Verhaftung wäre in diesem verschlafenen Nest schon ein Jahrhundertereignis.

Der junge Ordnungshüter nimmt den schweren Schlüssel von der Wand, begleitet uns zur Kirche und schließt das Hauptportal auf. Quietschend öffnen sich die alten Holztüren.

Zunächst sieht man fast nichts, denn der Innenraum hat nur winzige Fenster und die Augen müssen sich an die Dunkelheit gewöhnen. Der Polizist empfiehlt uns (wie in Spanien oft üblich), vorn am Chor eine Münze (1 Euro) in den Kasten zu werfen, um das Dunkel zu lichten und den berühmten Hochaltar in seiner Farbenpracht zu sehen. Sobald der Euro verschwunden ist, erstrahlt das Gold der Statuen und Säulen der Altarwand, die den Rahmen bilden für die 20 Gemälde des Renaissance-Malers Luis de Morales, des „Göttlichen“.

Minutenlang betrachten wir schweigend diese leuchtenden Bilder und fragen uns, wie viele Monate oder gar Jahre der Meister für dieses Wunderwerk gebraucht hat, bis es 1565 vollendet war. Und wir ärgern uns, dass keiner ein Opernglas dabei hat, um die Details der einzelnen Gemälde besser erkennen zu können. Plötzlich ist der Euro aufgebraucht und mit einem Schlag wird der goldglitzernde Schatz von Arroyo de la Luz wieder von Dunkelheit umgehüllt – eine kurz aufflackernde Ahnung der Ewigkeit, die ansonsten vor Menschenaugen verborgen bleibt. Ende der göttlichen Vorstellung.

Der Polizist begleitet uns hinaus, schließt die sakrale Bühne wieder ab. Nach etwas Konversation über dieses beschauliche Dorf und den Rest der Welt verabschieden wir uns und fahren weiter nach Nordwesten.

Während der einstündigen Fahrt bis Brozas, dem nächsten „pueblo“, begegnen wir genau drei Fahrzeugen – soviel zum Verkehrsaufkommen auf Landstraßen der Extremadura. Brozas ist etwas kleiner als Arroyo de la Luz, präsentiert sich aber schöner und touristischer. Es gibt viele palastartige Häuser aus Spaniens Goldenem Zeitalter (16. und 17. Jahrhundert), als dieser Ort zu großem Reichtum kam, weil er direkt an der Ruta de la Plata (Silberstraße) lag, dem wichtigsten spanischen Handelsweg, der von Sevilla durch die Extremadura über Salamanca bis Santiago de Compostela führte.

Von der Bedeutung, die Brozas im 16. Jahrhundert erlangte, zeugt auch die Hauptkirche Santa María la Mayor de la Asunción, die schon Dimensionen einer kleinen Kathedrale aufweist. Durch den fast weißen Stein wirkt der Innenraum heller als in Arroyo de la Luz. Aber auch hier zieht der enorme Hochaltar alle Blicke auf sich.

Er ist hochbarock und in seiner Darstellung einzigartig. Außergewöhnlich ist für Spanien schon die Tatsache, dass er gar nicht vergoldet wurde, was vielleicht daran liegt, dass zum Zeitpunkt seiner Errichtung der Goldstrom aus Amerika versiegte und das begehrte Edelmetall zu teuer geworden war. Ganz aus Kirschbaumholz geschnitzt, präsentiert sich dieser Retablo mit vier kolossalen Säulen und übersät mit Girlanden, Engelshäuptern und floralem Dekor. Im Zentrum steht als farbige Skulptur die Himmel fahrende Maria mit wehenden blauroten Gewändern und Englein, die sich an ihrem Rockzipfel festhalten.

Der Altarraum ist nicht abgesperrt und wir treten näher, um Details in den höheren Regionen besser sehen zu können. Dabei werden wir von zwei Putzfrauen überrascht (oder sollte man sagen: sakrale Altarraumpflegerinnen?), die sich mit überdimensionalen Staubwedeln ans heilige Werk machen. Sie scheuchen uns keineswegs zurück, sondern sind stolz, dass „ihr“ Altar bei Touristen soviel Beachtung findet. Und sie sagen das, was alle spanischen Frauen fortgeschrittenen Alters viel zu oft sagen, wenn etwas nicht ganz Alltägliches ins Blickfeld rückt: „¡Es una maravilla!“ (Es ist ein Wunder!). Und bei diesem Altar haben sie Recht. Wir stehen fasziniert vor diesem Engelsrefugium und Amparo wirft die Frage auf, welcher Altar schöner sei: der in Arroyo de la Luz oder dieser hier. Die Abstimmung in unserer Vierergruppe ergibt ein 2:2. Sehr zufrieden mit dieser barocken Entdeckung verlassen wir die „Provinzkathedrale“ von Brozas und fahren einem spektakulären Profanbau entgegen.

Nach einer halben Stunde erreichen wir den Tajo und unser letztes Ziel, das 2000-Seelen-Dorf Alcántara. Wir umkurven aber den auf einem Felsen über dem Fluss thronenden Ort, um zuerst der Hauptsehenswürdigkeit einen Besuch abzustatten.

Denn abgeschieden in diesem einsamen Winkel Spaniens, im Tal des Tajo an der Grenze zu Portugal, liegt die schönste Römerbrücke der iberischen Halbinsel.

Erbaut in den Jahren 98 – 103 nach Christus auf Befehl des in Sevilla geborenen römischen Kaisers Trajan, gehört sie mit nur 170 Metern Länge nicht zu den größten römischen Brücken. Aber imponierend sind ihre Höhe von 61 Metern und der 14 Meter hohe Triumphbogen des Trajan, der die Brücke genau in der Mitte überspannt. Und jeder ist fasziniert von ihrer architektonischen Harmonie: in sechs grazilen Granitbogen wölbt sie sich über den Fluten des Tajo und fast 2000 Jahre sehr bewegter Geschichte scheinen spurlos an ihr vorüber geflossen zu sein. Dies liegt nicht nur an der Härte des Baumaterials, sondern auch an der genial ausgetüftelten Konstruktion. Wenn es die perfekte Brücke gibt – hier steht sie. Der gleichen Meinung waren schon die Zeitgenossen der Erbauer im Römischen Reich, denn direkt gegenüber der Einfahrt zur Brücke errichtete man den kleinen Grabtempel ihres Architekten Gaius Julius Lacer. Ein Beweis, wie sehr man diese für Militär und Handel in der römischen Provinz Lusitania so wichtige Brücke zu würdigen wusste.

Auch die Araber erkannten die beispielhafte Form und strategische Bedeutung dieses Monuments und benannten den ganzen Ort nach ihm: „Al-Kantara“, die Brücke. Ebenso liebte sie Kaiser Karl V. und ordnete 1543 eine umfangreiche Restaurierung an. Seitdem hängt sein Doppeladler-Wappen am Triumphbogen des Trajan. Natürlich sehen wir uns dieses Monument aus der Nähe an und überqueren die Brücke einmal mit dem Auto und einmal zu Fuß. Wir versuchen uns vorzustellen, wie schwierig die Bauarbeiten vor fast 2000 Jahren in diesem steilen Flusstal gewesen sind. Und wir wundern uns über die zeitlose Stabilität der Konstruktion, die auch heute noch täglich von Lastwagen und Reisebussen geprüft wird.

Am frühen Abend finden wir auf dem Hügel links hoch über der Brücke den idealen Platz für ein Picknick.
Mit der Luxusaussicht auf das in der Sonne leuchtende römische Bauwerk lassen wir uns kurz vorher in Brozas gekaufte regionale Spezialitäten schmecken: Chorizo, Blutwurst, Paprika, diverse Käsesorten. Unter Einwirkung des schweren Rotweins „Monasterio de Tentudia“ blicken wir auf die im Abendlicht liegende Brücke von Alcántara und stellen uns die Fragen: Wie viele siegreiche und besiegte Heere – von der Römerzeit bis zu den spanischen Befreiungskriegen gegen Napoleon – haben dieses alte Gemäuer wohl überquert? Wie oft sind die Ritter des Alcántara-Ordens über diese Brücke zu ihrem dahinter liegenden Hauptsitz galoppiert?

Doch unzählige Male hat sie auch friedliche Absichten und verlockende Handelsgüter über den Fluß nach Portugal getragen. Wurden nicht z.B. die ersten Kakaobohnen aus Mexiko von Sevilla aus über diese Brücke nach Lissabon transportiert? Oder Abschriften der Werke eines Ibn Ruschd, Gil Vicente oder Isidor von Sevilla? Als friedliches Symbol dient diese wunderbare Brücke auch seit 1988 der Stiftung „San Benito de Alcántara“, die alle zwei Jahre den „Premio Internacional Puente de Alcántara“ vergibt – und zwar an bedeutende öffentliche Neubauten (bzw. ihre Architekten) in Spanien, Portugal und Lateinamerika. Unter anderem wurde dieser Architekturpreis an die neue Brücke von Tampico (Mexiko) und das Guggenheim-Museum in Bilbao vergeben. So wurde das perfekte Römerbauwerk von Alcántara, das in der Geschichte so oft als Truppentransporter missbraucht wurde, als das gewürdigt, was es ist: ein Musterbeispiel für die Verbindung von Zweckmäßigkeit und Schönheit in der Architektur.