Guatemala – Fest der Farben

Schon beim Verlassen des Flughafengebäudes fällt die großartige Farbenpracht ins Auge: Neben der Farbenfülle, welche die Natur besonders in der Regenzeit zu bieten hat, kann man ganzjährig die Pracht der Mayatrachten bewundern. Diese gelten auch heute noch bei vielen Mayas als wichtiges Identifikationsmittel. Der Großteil der Indianer lebt außerhalb der Städte im Hochland Guatemalas. Obwohl ihre Sprache immer noch den alten Stammessprachen entspricht, identifizieren sie sich heute eher mit ihrem Dorf als mit den Stämmen ihrer Vorfahren oder dem Staat. Die offizielle Landessprache ist Spanisch, es gibt jedoch ungefähr 20 verschiedene Mayadialekte von denen Cakchiquel, Quiché, Mam und Kekchi die meistgesprochenen sind. Viele Indianer, besonders Frauen, sprechen noch immer ausschließlich ihre Stammessprache. Für sie ist Spanisch eine Fremdsprache. Hochzeiten mit Angehörigen einer anderen Gemeinde kommen nur selten vor. Jede dieser Gemeinden grenzt sich vor allem durch eine eigene Tracht von den anderen Dörfern ab. Diese wird bevorzugt von Frauen getragen, auch wenn man ab und zu traditionell gekleidete Männer erblickt.

Allen indianischen Frauentrachten liegen dieselben Elemente zugrunde. Der huipil (Bluse), der corte (Rock), die faja (Gürtel) das Haarband und der tzute (Stola bzw. Allzwecktuch). Jedes Stück ist entweder auf dem Hüftwebgerät oder auf dem Trittwebstuhl handgewoben. Motive und Farben sind von Dorf zu Dorf verschieden; genauso wie die Form, in der das Haarband getragen, der Gürtel gebunden oder der Rock drapiert wird.

Daher kann man aus der Tracht relativ leicht das Heimatdorf einer Frau ableiten. Motive, die zur Verzierung von Trachten verwendet werden, reichen von Tier- und Pflanzenformen bis hin zu geometrischen Mustern. Obwohl in vielen Ortschaften dieselben Grundmotive verwendet werden, variieren sie doch von Dorf zu Dorf, woraus eine Vielfalt an Formen und Farben resultiert. Inwieweit die heutigen Motive auf präkolumbischen Einfluß zurückzuführen sind, ist weitgehend unbekannt. Einige Motive, wie Pferd, Pfau und Hühner, haben offensichtlich ihren Ursprung in der Zeit nach der Eroberung, da diese Tiere erst mit den Spaniern nach Amerika kamen. Andere Motive, wie die Schlange, der doppelköpfige Vogel, Sonnen- und Mondsymbole, wurden schon von den Maya verwendet. Viele Tiermotive, die die heutigen Kleidungsstücke schmücken, wie z.B. Affe, Hirsch, Jaguar, Adler und Papagei, spielten in der Mythologie der Maya eine große Rolle. Die Weber kennen den Ursprung der Motive nicht, und von den spanischen Chronisten wurden sie nie dokumentiert. Es kann daher unmöglich mit Sicherheit gesagt werden, ob die Motive tatsächlich auf alten Themen beruhen oder aus anderen Quellen stammen. Als in der Kolonialzeit die „einfachen“ Indianer Motive zu verwenden begannen, haben sie möglicherweise einige aus der Maya-Tradition übernommen, wobei sie Symbole verarbeiteten, die einst der Oberschicht vorbehalten waren. Gleichzeitig können aber Tiere und Pflanzen aus ihrer Umgebung und aus zeitgenössischen spanischen Mustern als Motivvorlage gedient haben.

Es ist interessant zu beobachten, daß Überreste von spanischen Stoffen aus der Zeit vor der Entdeckung Amerikas, Vogelreihen und geometrische Muster aufweisen, die den auf bestimmten guatemaltekischen Webereien gefundenen sehr ähnlich sind. Wie schon erwähnt, sind Hühner, Pfaue und Truthähne die gebräuchlichsten Vogelmotive auf guatemaltekischen huipiles.

Huipil aus QuetzaltenangoOft ist es aber unmöglich die verschiedenen Gattungen zu unterscheiden, da der Phantasie des Webers freien Lauf gelassen wird, und auch Tiere mit fünf oder sechs Beinen keine Seltenheit sind.

Leicht zu erkennen ist das sogenannte „tote Truthahn-Motiv“, ein Vogel mit gebeugtem Nacken, welches oft auf Festtagshuipiles vorkommt und einen Opfervogel darstellen könnte.In einem Gebiet Guatemalas sind Enten besonders beleibte Motive ,um den huipil zu schmücken. Bis auf einige Ausnahmen sind die anderen Tiermotive einfacher zu identifizieren als die Vogelmotive. Hunde, Hasen, Pferde und Hirsche kann man leicht erkennen. Dem Hirsch kommt in der Mythologie der Maya eine besondere Bedeutung zu, und der Hirschtanz, der seinen Ursprung in vorkolumbischer Zeit hat, wird heute noch immer zu festlichen Anlässen aufgeführt. Der Affe, den man leicht an seinem langen Schwanz und der typischen Haltung mit erhobenen Armen erkennen kann, ist ebenfalls ein weitverbreitetes Motiv. Wie der Hirsch kommt auch der Affe bei den heute üblichen rituellen Tänzen vor.Die häufigsten Webmotive basieren auf geometrischen Formen. Sparren, Dreiecke, Rhomben, Quadrate und Punkte werden in allen erdenklichen Formen, sowohl einzeln als auch in Gruppen verwendet, um eine große Vielfalt an abstrakten Mustern zu schaffen. In einigen Ortschaften findet man nur geometrische Muster, in anderen wechseln sie sich mit Pflanzen und Tiermotiven ab. In der klassischen Epoche der Maya waren speziell Rhombenmuster beliebt und sind auch heute noch weit verbreitet.Ein anderes gebräuchliches Motiv ist die Zickzacklinie. Meistens gilt sie als Symbol für den Gott des Blitzes. Ein von Dreiecken umgebener Kreis stellt die Sonne dar und die an vielen V-Ausschnitten applizierten Scheiben sollen den Mond symbolisieren. Die broschierten Teile vieler dreiteiliger huipiles formen, wenn das Kleidungsstück ausgebreitet wird, ein Kreuz, welches das Symbol der Maya für die vier Windrichtungen darstellte.

Es ist selbst in konservativen Gesellschaften unumgänglich, daß neue Generationen alte Traditionen verändern. Vergleicht man die heutige guatemaltekische Tracht mit der vor 40 Jahren, dann ist ein offensichtlicher Trend nach mehr Farbe und größeren Mustern zu bemerken. Die Kombination neuer Farben und Muster mit älteren Elementen zeigt die Fertigkeit und künstlerische Fähigkeit eines Webers.