Globale Lebensläufe (04/2009)

Globale Lebensläufe. Menschen als Akteure im weltgeschichtlichen Geschehen
Bernd Hausberger (Hg.)
Einen neueren und – angesichts der Millionen von anonymen Menschen, die dazu beitragen, das Rad der Geschichte weiter zu drehen – sehr lobenswerten Ansatz der modernen Geschichtsforschung bietet uns das Buch „Globale Lebensläufe“: Mikrohistorie, der Zugang zur Globalgeschichte über die Biographien einzelner Zeitgenossen, die nicht – wie Könige, Heerführer oder Präsidenten – automatisch in vorderster Front des allgemeinen Interesses stehen.

Bernd Hausberger (Hg.)
Globale Lebensläufe.
Menschen als Akteure im weltgeschichtlichen Geschehen

Mandelbaum Verlag
Wien 2006
Seiten 292
15,80€

Allerdings dreht es sich bei den ausgewählten Personen nicht um Menschen, die ihr Leben an nur einem Ort verbracht haben, sondern um umtriebige Zeitgenossen, deren Biographien von grenzüberschreitender Mobilität geprägt sind und deshalb auch viele Spuren in historischen Dokumenten o.ä. hinterlassen haben. Interessant ist, dass die meisten von ihnen nach einem „globalisierten“ Leben zu den Orten ihrer Wurzeln zurückkehrten, da – wie Herausgeber Bernd Hausberger in seinem einführenden Beitrag schreibt – die interkulturelle Flexibilität den Menschen viel abverlangt und die Menschen diese nur mit Mühe auf Dauer bewältigen wollen oder können.

Die Biographie, eine von elf in diesem Buch ausgewählten Biographien, des weit gereisten Leo Africanus, einem in Andalusien geborenen und von dort vertriebenen Araber, gewährt uns Einblicke in die Mittelmeerwelt des 15. Jahrhunderts, während Eusebio Francisco Kino, Mitglied einer der ersten global agierenden Organisationen, den Jesuiten, uns nach Mexiko mitnimmt. Spannend ist dabei, wie dieser doch relativ „normale“ padre posthum zum „Helden“ der Erschließung Nordmexikos bzw. Kaliforniens geworden ist und zu einem der Gründerväter der USA verklärt wurde und wie ein „transnationaler“ Jesuit von verschiedenen Nationen als der Ihrige vereinnahmt wird. Autor Bernd Hausberger setzt ihn schließlich am Ende seines Essays in Bezug zu den Managern des 21. Jahrhunderts, ein interessanter Vergleich.

Der Venezolaner Francisco de Miranda – Heerführer und kurzzeitiger Diktator und damit eine Ausnahme im Reigen der aufgeführten Persönlichkeiten -, ist wegen seiner langen Aufenthalte in Europa, die auch sein Denken und Handeln während der Befreiungskriege in der Heimat beeinflussten, eine exemplarische Gestalt für das Scheitern idealistischer (europäischer) Ideen an der Kleingeistigkeit lateinamerikanischer Eliten.

Skandalumwittert und schillernd war das Leben von Elisa Alicia Lynch, einer zum Teil in Paris aufgewachsenen Irin, die zur paraguayischen Präsidentengattin empor stieg und das Leben der städtischen Eliten im 19. Jahrhundert kräftig durcheinander wirbelte.

Dass es sich nicht immer um „große“ Politik drehen muss, um eine Biographie für Historiker interessant zu machen, zeigt auch das Beispiel der Kubanerin Cuchito Castro Zaldarriaga, die mit ihrer Frauenband Anacaona die Welt bereiste.

Der kommunistische Publizist Leo Katz aus Wien schließlich verbrachte auf der Flucht vor den Nazis viele Jahre in Mexiko-City und gab dort seinen ersten Roman heraus.

Ein gleichzeitig lehrreiches, kurzweiliges und spannendes Buch, das hoffentlich viele Leser jenseits der Historikerriege finden wird.

Jens Kastner / David Mayer (Hg.)
Weltwende 1968? Ein Jahr aus globalgeschichtlicher Perspektive
In der gleichen Reihe – „Globalgeschichte und Entwicklungspolitik“ – ist übrigens auch ein Buch über das Jahr „1968“ erschienen, das sich nicht, wie sonst üblich, nur auf Europa und die USA bezieht. David Mayers Artikel über Lateinamerika räumt den Auswirkungen der kubanischen Revolution in Lateinamerika viel Platz ein und beschäftigt sich (leider) nur mit zwei weiteren Ländern des Kontinents, Chile und Mexiko, wo bekanntlich die 68er-Proteste mit dem Massaker an Studenten auf dem Tlatelolco-Platz besonders schreckliche Folgen hatten.

Jens Kastner / David Mayer (Hg.)
Weltwende 1968?
Ein Jahr aus globalgeschichtlicher Perspektive

Mandelbaum Verlag
Wien 2008
Seiten 208
17,80€

Martina Kaller-Dietrich behandelt die lateinamerikanische Bischofskonferenz in Medellín, 1968, und ihre Impulse für die „Theologie der Befreiung“, während Reiner Tosstorff sich mit dem Widererstarken der Protestbewegung unter Franco beschäftigt.

Auch dieser Band liest sich mit Lust und ragt insofern aus den üblichen Historiker-Bleiwüsten heraus.

Fotos: amazon