Dürres Genius

Niemand wird für seine Musik derart verehrt, niemand für seine Musik derart gehasst. Wer über Spinetta, den sie in seiner argentinischen Heimat liebevoll „El Flaco“ nennen, mit anderen Musikinteressierten spricht, stößt recht schnell an die Grenzen. Entweder man mag seine Musik („Spinetta es un groso, un genio“) oder man meidet sie, wie der Teufel das allzu berühmte Weihwasser („¿Spinetta? ¡Canta cualquiera!“). Dennoch ist der schlaksige Mann schon seit einem gefühlten Jahrhundert ein Aushängeschild was argentinische Rockmusik anbelangt und nimmer müde, seine Ideen auf ein Album zu pressen.

Mit „Un mañana“ hat er sein inzwischen 36. Album vorgelegt und es ist mit Sicherheit nicht das schlechteste. Es ist vorsichtiger, harmonischer und insgesamt recht homogen, wenn man das von seinen Liedern überhaupt sagen kann, und es ist gewissermaßen eine Fortsetzung der letzten Alben „Para los árboles“ und „Pan“. Beim ersten Hören stellt sich fast schon Lounge-Atmospähre ein. Sanfte Gitarrenriffs und -soli, facettenreiche Melodien und fast immer das raumfüllende Keyboard von Claudio Cardone; nicht zu vergessen Sergio Verdinelli am Schlagzeug und Nerina Nicotra am Bass.

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Und doch bleibt sich das dürre Genius treu. Spinetta lebt in seiner eigenen musikalischen Welt, in der er sich bewegt, die er immer wieder durchbricht um Platz für Neues zu schaffen. „Oh, vielleicht, vielleicht / Umarm ich Dich, wo immer Du auch bist / Denn ohne ein Zusammentreffen fehlen der Harmonie die Beine“, heißt es in dem ruhigen „Hiedra al sol“, das nur von seiner akustischen Gitarre begleitet wird. Leichter zugänglich ist da schon „Tu vuelo al fin“ – am besten dabei die Augen schließen und mit Spinetta gemeinsam abheben, ehe man sich in „Canción de amor para Olga“ verliert, in dem er die Dankbarkeit und Hoffnung besingt. Vielleicht sein bestes Stück auf dieser Platte.

Doch wie so oft sind seinen teils recht hermetischen Texten keine Interpretationsgrenzen gesetzt, so dass man sich schon selbst seine Gedanken machen muss. Aber, und das ist bei Spinetta nicht neu, die Platte sollte man mehr als ein-, zweimal hören. Zeit und Raum sollte man dem Album einräumen und es nicht zu purer Hintergrundmusik verkommen lassen. Wer sich buchstäblich in das Album fallen lässt, der wird belohnt. Spätestens, wenn das Herz von den unzählig kräftigen Harmonien ein wenig mehr vom Licht abbekommt. In diesen dunklen Zeiten durchaus ein Segen.

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Fabulöse Neuauflage
Los Fabulosos Cadillacs – La luz del ritmo

Das Jahr 2008 wird wohl vor allem als Jahr der Comebacks in Erinnerung bleiben. Sting und Police gingen wieder auf Tour, Gustavo Cerati vertrug sich wieder mit Soda Stereo und stieg auf die altbekannte Bühne – und jetzt zeigten sich auch Vicentico und die Fabulosos Cadillacs wieder in trauter Einigkeit. War die Europatournee von Police nicht unbedingt nur von Erfolg gekrönt – teils gab es leere Ränge in den Locations wegen der horrenden Eintrittspreise – ist davon in Argentinien wenig zu spüren. Die Stadien werden da auch mal drei Tage hintereinander gefüllt, obwohl auch hier die Eintrittspreise vergleichsweise knackig sind. Aber, wenn jemandem Ehre gebührt, dann sind das diese beiden Ausnahmebands ganz ohne Zweifel.

Jetzt also auch die Fabulosos, möchte man sagen. Immerhin bestätigten sich damit die unendlichen Gerüchte um eine mögliche Reúnion und, entgegen der meisten Band-Wiedervereinigungen, haben sie auch ein neues Album im Gepäck. So richtig „neu“ darf man aber gar nicht sagen, denn es finden sich nur fünf wirklich neue Songs darauf; sechs weitere wurden neu eingespielt und sogar zwei Coverversionen („Should I stay or should I go von The Clash und „Wake up and make love with me“ von Ian Dury) geben die sieben Herren zum Besten. Und das alles in ihrem eigenwilligen Stil aus Latino-Rhythmen, Ska und Rock.

Bei „Nosotros Egoístas“ lässt der charismatische Bandkopf Vicentico seinem Bassisten (und nicht minder charismatischen) Flavio Cianciarulo den Vortritt. Ein Stück, das sehr emotionsgeladen daherkommt, weil es dem im März 2008 verstorbenen Percussionist Gerardo „Toto“ Rotblat gewidmet ist. Das anschließende „Hoy“ könnte auch auf jeder Solo-Platte von Vicentico zu hören sein, weil es seinen leicht verklärten romantischen Ansatz weiter führt und eher einen folkloristischen Touch hat. Die drei restlichen neuen Songs („La Luz del Ritmo“, „Flores“ und „El fin del amor“) allerdings beeindrucken weniger. Es sind die gewohnt rhythmischen Gute-Laune-Stücke, die man von den Fabulosos ohnehin erwartet. Sie sind zwar nicht direkt enttäuschend, ob der wenigen neuen Lieder aber hätte man etwas mehr erwarten können.

Interessanter sind da schon die alten, aber neu arrangierten Stücke wie „Basta de llamarme así“ (im 70er Jahre Ska-Stil eingespielt) und „El genio del Dub“, schon damals eines der größten Erfolge, das jetzt sogar ein paar Hip-Hop-Alusionen bekommen hat. Musikalisch bleibt die Band sich somit einerseits treu, andererseits probiert sie auch ein klein wenig Neues aus. Ein bisschen Reggae und der eben erwähnte Hip-Hop finden sich ebenso auf der Platte wie das Cumbia beeinflusste „Padre Nuestro“. So entstand mit „El luz del ritmo“ ein solider Nachfolger der letzten Studio-Platte „La marcha del golazo solitario“, die immerhin schon neun Jahre zurück liegt. Von einem Meilenstein des argentinischen Rock Nacional ist sie allerdings sehr weit entfernt.

cadillacasLos Fabulosos Cadillacs
la luz del ritmo
World Connection / edel
Offizielle Seite: http://www.fabulosos-cadillacs.com