„Der Herbst des Goldenen Zeitalters“ von Karin Schüller (10/2016)

Schon das Cover unter dem programmatischen Titel legt die Meßlatte hoch, denn da räkelt sich – eher elegant als verführerisch – die berühmte Venus von Velázquez dem Leser entgegen. Und wer hinter dem violetten Vorhang der Venus einen anspruchsvollen historischen Roman erwartet, dessen Erwartungen werden von Karin Schüller voll erfüllt.

Im Zentrum ihres Romans steht die Lebensgeschichte eines irischen Mönchs, der fast sein ganzes Leben im goldenen Exil verbringt: im Spanien des 17. Jahrhunderts, vor allem in Salamanca und Madrid. Die unorthodoxen Ansichten dieses Protagonisten, sein Interesse an Kunst, Natur und „weltlichen Dingen“ und nicht zuletzt seine Schönheit werden ihn im Spanien der Inquisition einigen Verführungen aussetzen und manches Mal in Bedrängnis bringen.

Der Herbst des Goldenen Zeitalters
Karin Schüller
Pro Business
Auflage: 1 (28. Juni 2016)
442 Seiten
ISBN-10: 3864602157
ISBN-13: 978-3864602153

Die Autorin lässt ihre Hauptfigur Hugh als Jugendlichen um 1605 im Hafen von La Coruña ankommen, am See von Sanabria ganz kurz das Paradies erleben, um ihn dann sein Gelübde für den Franziskanerorden ablegen zu lassen und Jahrzehnte lang durch Verhandlungen mit dem spanischen Königshaus zur Unterstützung des Freiheitskampfes der Iren gegen England und höfische Intrigen zu führen. Sie schickt ihn zur Erfüllung von Geheimaufträgen nach London und Rom, zur Pilgerreise nach Köln und während der großen Pest nach Prag. Bei der Darstellung der politischen Hintergründe (und Abgründe) sowie der diplomatischen Verflechtungen wird deutlich, dass Karin Schüller als Historikerin über reichhaltiges Detailwissen dieser Epoche verfügt, die man trotz aller Kriege und Katastrophen heute in Spanien die goldene nennt.

Dennoch verlangt dieser Roman vom Leser kein Hintergrundwissen, sondern richtet sich durchaus an ein breites Publikum. Dies erreicht die Autorin durch den Kunstgriff, Europas politische und religiöse Konflikte des 17. Jahrhunderts auf die fiktive und spannende Biographie des irischen Franziskaners zu projizieren. Mit den Augen ihres Protagonisten Hugh lässt sie den Leser die Schrecken (Inquisitionsprozesse) und die Schönheit des Goldenen Zeitalters sehen: Kunst und Theatervorstellungen. Dabei setzt Karin Schüller eine sehr ausgefeilte Sprache ein, die sich wohltuend abhebt von Fast Food Literatur und sich im Ton einer Hommage an das Siglo de Oro als würdig erweist.

Zu den besonderen Höhepunkten des Romans gehören die fiktiven Diskussionen der barocken Hofmaler Velázquez und Rubens mit dem Protagonisten. Sie zeugen nicht nur von den profunden kunsthistorischen Kenntnissen der Autorin. Sie glänzen vor allem durch die passende Charakterisierung dieser Künstlergenies des Goldenen Zeitalters: der vornehmen andalusischen Zurückhaltung des jüngeren Velázquez und seiner subtilen Pinselführung wird die polternde Eitelkeit des älteren, schon völlig etablierten Rubens gegenüber gestellt. Und ganz nebenbei lässt Karin Schüller ein im Brand des Alcázar von Madrid verloren gegangenes Gemälde des Velázquez wieder auferstehen und präsentiert zudem eine ebenso originelle wie geniale Idee zur Entstehung der Venus des Velázquez, die auf dem Buchcover erscheint.

Der „Herbst des Goldenen Zeitalters“ war in Wahrheit der eigentliche Glanz von Spaniens Goldenem Zeitalter, denn während die Eroberungserfolge und der Wirtschaftsboom sich vor allem über das 16. Jahrhundert erstreckten, kam es zeitversetzt vor allem Mitte des 17. Jahrhunderts, als Spanien von allen Seiten unter Beschuss geriet und zwischen Wirtschaftskrisen und Staatsbankrotten taumelte, zu einer beispiellosen Blüte der spanischen Kunst, deren größte Exponenten die Maler Velázquez, Zurbarán, Murillo, die Bildhauer Martínez Montañés und Pedro Roldán, alle aus Sevilla, Universalkünstler Alonso Cano aus Granada, die Architekten der Barock-Dynastien der Figueroa in Sevilla und der Churriguera in Kastilien sowie die kastilischen (Theater)Dichter Calderón de la Barca, Lope de Vega und Tirso de Molina waren.

Dem Andenken dieser Kunst-Giganten ist Karin Schüllers Roman gewidmet – und ist dabei selbst ein über 400 Seiten starkes Stück Kunstliteratur geworden.

Cover: amazon