Bildung als Schlüssel für eine bessere Zukunft

chlecht ausgebildete Eltern, die so wenig verdienen, dass sie ihre Kinder aus der Schule nehmen müssen, die später wieder zu wenig verdienen werden. Diesen elenden Kreislauf will die Kolpingfamilie von Garuhapé in Argentinien durchbrechen. Ihr lebendiges Kolpinghaus ist Bildungs- und Gemeindezentrum in einem und bietet ihrer Kleinstadt eine echte Perspektive.

Angestrengt sitzt Graciela über ihren Aufgaben: Welches Wort im Satz ist das Adjektiv? Eigentlich ist das Lernstoff der 4. Klasse – und Graciela ist schon lange erwachsen. „Ich bin das älteste Mädchen von acht Geschwistern. Meine Eltern haben mich in der zweiten Klasse aus der Schule genommen, denn sie brauchten jemanden, der sich um die Kleinen kümmert während meine Mutter arbeitete“, erzählt sie und nimmt noch einen Schluck Matetee. Der hält wach. Graciela ist nach einem langen Arbeitstag müde.

„Irgendwann konnten wir die Augen vor den Problemen nicht mehr verschließen“, erinnert sich Mirta Verdun, Mitglied der Kolpingfamilie von Garuhapé in Misiones, Argentinien. „Die Arbeitslosigkeit war groß, zu viele Familien lebten am Rande des Existenzminimums und oft schafften die Kinder den Übergang zur weiterführenden Schule nicht. Da müsse sich etwas ändern, sagten sich besorgte Gemeindemitglieder und gründeten im Jahr 2000 eine Kolpingfamilie.“

Arbeitslosigkeit und Existenzsorgen gibt es in Garuhapé immer noch. Die Sägewerke stellen auf Maschinen um und brauchen immer weniger Arbeiter. Die Menschen schlagen sich als schlecht bezahlte Tagelöhner durch. Gleichzeitig sind die Preise in den Supermärkten höher als in Deutschland. Doch während den Menschen in Garuhapé früher nichts anderes blieb als sich irgendwie zu arrangieren, finden sie heute im Kolpingzentrum Hilfe. Von Anfang an war Bildung für die Ehrenamtlichen der Schlüssel zu einer besseren Zukunft.

Ihr stetig wachsendes Kolpinghaus öffnet jeden Nachmittag und Abend für jährlich 250 Kinder, Frauen und Männer die Türen zu einer Vielzahl unterschiedlicher Kurse. „Bei uns kann man viel lernen, was dabei hilft, die hohen Lebenshaltungskosten zu senken. Etwa Nähkurse, damit die Familien nicht mehr so viel Geld für Kleidung ausgeben müssen“, gibt Mirta Verdun ein Beispiel. Auch Elektrik, Friseurhandwerk, Backen oder Klempnerei werden angeboten. Mit solchen Kenntnissen lässt sich nicht nur Geld sparen, sondern mit ein bisschen Geschick auch etwas verdienen.

Für die Kinder von Garuhapé ist das Kolpinghaus fast schon so etwas wie ein Jugendzentrum. Hier sind sie nach der Schule willkommen, finden Spielsachen und ein Volleyballnetz, am Samstag eine Pfadfindergruppe. „Wir wollten einen Platz schaffen, an dem sich die Kinder gerne aufhalten und Gemeinschaft erleben können“, sagt Mirta Verdun. „In den meisten Familien sind beide Eltern den ganzen Tag über unterwegs, um irgendwie Geld zu verdienen. Die Kinder hängen auf der Straße herum, keiner kümmert sich darum, wie sie in der Schule dastehen oder fragt auch nur, wie ihr Tag war.“ Es gibt viel, was die 55 ehrenamtlichen Mitglieder der Kolpingfamilie auffangen müssen. Jeder hilft mit dem, was er kann. Mirta Verdun spricht zum Beispiel recht gut Englisch – und hat die Konversationskurse für die Schulkinder übernommen. „Geld kann ich nicht geben. Aber Zeit und etwas von meinem Wissen. Das ist mein Beitrag für unsere Gemeinde.“

Bis Graciela Englisch lernt, wird es noch eine Weile dauern – derzeit kämpft sie mit dem Grundschulstoff. Neben ihr sitzt ihre 10jährige Tochter Ludmila. Sie ist der Hauptgrund dafür, dass ihre Mutter mit 27 Jahren noch einmal die Schulbank drückt. „Ich möchte ihr helfen können. Aber dazu muss ich die Dinge erst einmal selber lernen“, sagt Graciela. Ihre Tochter soll die Oberschule abschließen und eines Tages einen vernünftigen Job finden. Um ihr dabei helfen zu können, wird auch Graciela die Secundaria besuchen – nächstes Jahr im Abendkurs des Kolpingzentrums.

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de