Barcelona Raval Sessions vs. Jordi Bonell (12/2003)

Die monatliche Kolumne zu Musik aus Lateinamerika, der Karibik, Spanien und Portugal. Hier findet ihr Folklore, Latinjazz, Rock und Elektroakustik neben Speedmetal, Funk und Kammermusik. Ob Tango, Kaseko, Guajira, Flamenco, Fado, Axé, Punta oder die Mischung aus allem, hier kommt es auf den Prüfstand. Vorgehört und serviert von Torsten Eßer.

1492 verließen mit der friedlichen Übergabe Granadas an die Katholischen Könige die meisten Araber Spanien. Die wenigen Verbliebenen mussten zum christlichen Glauben übertreten oder wurden vertrieben. Seit einigen Jahren erobern Araber als illegale Einwanderer oder legale Billigarbeitskräfte die iberische Halbinsel zurück. Das schlägt sich jetzt auch in einer verstärkten Produktion arabischer oder arabisch klingender Musik nieder.

Im musikalischen Schmelztiegel Barcelona versammeln sich momentan die kreativsten Musiker aller Kulturen, vor allem aber des Mittelmeerraums. Eine wunderbare Auswahl dieser Interpreten aus dem „Mekka“ der Mestiza-Musik ist auf der neuen Compilation „Barcelona Raval Sessions“ versammelt.

Diverse
Barcelona Raval Sessions
satélite K/ Exil 4277-2

Im Hochformat und mit schönem Booklet versehen fällt diese Doppel-CD sofort ins Auge, auch wenn das Cover eher an neue indische Musik á la Panjabi MC erinnert (übrigens nicht ganz falsch, finden sich doch auch solche Klänge in diesem großen Mischmasch: Malkit Singh).

Raval ist ein Stadtviertel Barcelonas in dem alles aufeinander trifft: Bewohner vom Balkan bis Barbados spielen Reggae, Dub, Klezmer, Rai, Triphop, Rumba, Cumbia, Flamenco, Rock, Hiphop… oder legen in den Clubs und Bodegas auf. Und viele mixen einfach, in den unterschiedlichsten Sprachen. So finden sie sich auch auf diesem Album wieder: Spanisch, Katalanisch, Französisch, Englisch, verschiedene arabische Sprachen und Dialekte.

Wir treffen auf alte Bekannte – Clotaire K, Fermín Muguruza, Ojos de Brujo, Cheb Balowski – aber mehrheitlich auf neue Namen: Yamal, Kween Kahina, Soul Shakers, 08001 (deren Name die Postleitzahl des Viertels ist). Nicht alle hier versammelten Musiker leben in Barcelona, es geht auch um musikalische Seelenverwandtschaft, vor allem auf der zweiten CD, die Interpreten aus Indien, Jamaika, dem Maghreb und vielen anderen Winkeln der Erde präsentiert.

 

Der aus Barcelona stammende Gitarrist Jordi Bonell ist in vielen Musikstilen zuhause: Flamenco, Jazz, Rock, Pop… Auf seinem zweiten Album versucht er, all das unter einen Hut zu bringen und scheitert. Nicht, dass es keine hörenswerten Stücke auf „Agua Madre“ gäbe, aber insgesamt eignet sich diese CD eher als angenehme Hintergrundmusik, denn zum intensiven Zuhören.

Stellvertretend dafür sei das im Easy-Listening-Stil eingespielte „Strangers in Paradise“ genannt. Kommen wir jedoch zu den vier (von elf) erwähnenswerten Stücken: „Caminando sobre el agua“ ist der beste Titel auf der CD, eine wirklich gelungene Fusion von Jazz und spanischer Folklore.

Jordi Bonell
Agua Madre
world village 498005/hamonia mundi

Sicher kein Zufall, dass hier zwei Altmeister des Jazz-Flamenco mitspielen, der Pianist Chano Domínguez und der Bassist Carles Benavent, der schon in der Gruppe von Paco de Lucia die Saiten zupfte. Jazzrock gemischt mit den typischen palmas des Flamenco hören wir in „Niño … estate quieto“, während „Sobran las palabras“ eine sehr schöne, ruhige Jazz-Ballade vom Mundharmonika-Spiel Antonio Serranos ausgezeichnet wird.

Bliebe noch „A mí me andan siguiendo“. Dieses Stück fällt positiv auf, weil es wie eine kurze Reise durch Fusion, Flamenco und Jazz aufgebaut ist. Bei seiner nächsten Produktion sollte Bonell seiner Musik mehr Ecken und Kanten gönnen und sein Talent nicht mit Weichspülerei vertun. Aber vielleicht liegt es daran, dass diese CD seiner Mutter gewidmet ist.

Cover: amazon