Adeus Alberto Dines

Vor einigen Tagen stieß ich in einem Buchladen auf eine brasilianische Ausgabe eines Stefan Zweig Buchs. „Mit einem Vorwort von Alberto Dines“ stand auf dem Umschlag. Seit Jahren begleitete Alberto die neuen Ausgaben von Zweigs üppigem Werk in Brasilien. Stets wusste er liebevolle Vorworte zu schreiben.

Stefan Zweig gehörte zu Albertos Leben seit er den Autor als Achtjähriger in seiner Schule in Rio de Janeiro traf. Später hing Albertos Vater ein Porträt von Zweig daheim an die Wand. Anfang der 80er Jahre veröffentlichte Alberto schließlich sein Buch „Morte no Paraíso“ über Zweigs letzte Jahre in Brasilien. Ein Meilenstein!

„Wie es Alberto wohl geht?“, dachte ich mir als ich das Buch in der Hand hielt. Seit einiger Zeit hatte ich keinen Kontakt mehr zu ihm, Freunde erzählten mir von seiner schlechten Gesundheit.

Zuletzt traf ich ihn vor vielleicht drei oder vier Jahren in Rio. Das ewige Pendeln zwischen seiner Wohnung in São Paulo und Rio, wo er sein Fernsehprogramm „Observatório da Imprensa“ aufzeichnete, setze ihm zu, erzählte er. Ganz nach Rio zu ziehen, seine Heimatstadt, wäre wohl eine Lösung, überlegte er. Doch er blieb in São Paulo, wo man durch schier unendliche Reihen von vollgestopften Bücherregalen gehen musste, um in sein Büro vorzudringen.

Ich lernte Alberto vor rund 15 Jahren kennen. Seine Frau Norma war in der Korrespondenten-Vereinigung aktiv, der ich 2002 beigetreten war. Ich war sofort fasziniert von Albertos Geschichten über Zweigs Leben und Sterben in Brasilien. Seine Flucht vor den Nazis, seine Begeisterung über Brasilien, dem er den Untertitel „Land der Zukunft“ schenkte, nur um später festzustellen, dass er selber hier keine Zukunft habe.

Das Haus in Petrópolis, in dem Zweig 1942 Selbstmord beging, ließ der von Alberto ins Leben gerufene Verein „Casa Stefan Zweig“ umbauen. Alberto zeigte mir die Baustelle, alles sollte so aussehen wie zu der Zeit, als Zweig hier seine „Schachnovelle“ schrieb. Zudem sollte hier eine Gedenkstätte für die damals vor den Nazis geflohenen Künstler entstehen. Alberto hatte Material über dutzende Personen gesammelt, die in Brasilien Zuflucht suchten. Ich machte damals Fotos von Alberto und dem Stefan-Zweig-Haus, die seitdem immer wieder im Internet und in Zeitungen auftauchen.

Für sein Engagement wurde Alberto 2007 mit dem Austrian Holocaust Memorial Award ausgezeichnet. Der Flug nach Wien sollte über Frankfurt gehen, doch der Gedanke, im Land der Nazis zwischenzulanden, ließ ihn erzittern, sagte er mir. Viele seiner Verwandten, die im ukrainisch-polnischen Grenzgebiet lebten, litten während des Zweiten Weltkriegs unter der deutschen Besatzung. Manche Wunden verheilen nie vollkommen, denke ich.

Über die Jahre wurde mir klar, welch prägende Figur Alberto für Brasiliens Journalismus war. Seit seinem Berufsstart Anfang der 50er Jahre arbeitete er bei den wichtigsten Zeitungen und Zeitschriften des Landes. Während der Militärdiktatur (1964-85) trickste er die Zensur mehrere Male aus. Nachdem die Militärs nach Salvador Allendes Tod anordneten, dass man keine einzige Schlagzeile über den gestürzten chilenischen Präsidenten lesen wolle, füllte Alberto die Titelseite des „Jornal do Brasil“ mit einem ganzseitigen Artikel über Allende. Allerdings ohne eine einzige Schlagzeile.

1974 verließ er Brasilien. Im Exil in den USA arbeitete er als Gastprofessor an der Columbia-Universität in New York. Später, 1994, gründete er die Medienbeobachtungsstelle „Observatorio da Imprensa“, die im Internet und Fernsehen kritische Analysen zum brasilianischen Journalismus produzierte. Hier zeigte sich, was für ein brillanter Denker Alberto war. Stets sah er die Entwicklungen des Journalismus voraus. Und blieb bis ins hohe Alter eine kreative und kritische Seele.

Am 22. Mai, einen Tag nachdem ich das Buch mit seinem Vorwort in der Hand hielt, starb Alberto in einem Krankenhaus in São Paulo. Er wurde 86 Jahre alt. Brasiliens Medien verbeugten sich ein letztes Mal vor dem großen Journalisten.

Gerne fahre ich mit Freunden, die mich in Rio besuchen, hoch nach Petrópolis. Dann halte ich an dem Stefan-Zweig-Haus und erzähle die Geschichte von Zweig und Alberto. Seine Zweig-Biografie „Tod im Paradies“ ist immer noch eines meiner Lieblingsbücher. Froh kann derjenige sein, der im Leben etwas Bleibendes erschafft.

Casa Stefan Zweig: http://www.casastefanzweig.com.br/index.php?language=de

Zu Alberto Dines sind im caiman erschienen:

Verloren im Paradies: Stefan Zweig in Petrópolis

Stefan Zweig in Brasilien – Interview mit Alberto Dines