80 Jahre Blut-Bananen

Sie ist sonnengelb, formschön, schmackhaft und vielleicht die beliebteste Frucht der Welt. Und die einzige, die alle lebenswichtigen Vitamine und Spurenelemente enthält: die Banane. Es gibt sie in vielen Variationen, von groß und verhältnismäßig geschmacklos bis klein und zuckersüß-würzig. Die weltweit berühmteste Banane – zumindest in Europa und Nordamerika – hat ein schönes, himmelblaues Etikett und einen klangvollen Namen: „Chiquita“. Klingt spanisch und irgendwie süß – ist es aber nicht.

Man beißt hinein und am Anfang schmeckt sie, wie die meisten anderen Bananen auch, einfach nur lecker. Doch dann, immer deutlicher, bekommt die Chiquita-Banane einen seltsamen Beigeschmack.

Zuerst glaubt man es kaum – aber sie schmeckt nach Blut. Und das ist leider keine Einbildung, denn Chiquita-Bananen sind Blut-Bananen.

Ende des Jahres 2004 verließ der riesige US-Konzern Chiquita Brands (entstanden 1970 aus der Fusion der ehemaligen United Fruit Company und der United Brands Company) erstaunlich blitzartig das schönste Land der Welt – Kolumbien – wo er sich bis dahin wie die Made im Speck gefühlt und seit einem Jahrhundert eine führende Position im Bananengeschäft eingenommen hatte.

Warum dieser plötzliche Abgang? Um einer Flut von Klagen zuvor zu kommen, die Angehörige von Mordopfern gegen den Bananen-Giganten einleiten würden. Denn immer deutlicher zeichnete sich ab, dass der ungeheure Skandal, der in deutschen Medien kaum thematisiert wurde, nicht mehr zu vertuschen war. Deshalb ging Chiquita zum Selbstschutz in die Offensive und gab zu, allein zwischen 1997 und 2004 US-$ 1,7 Millionen (wahrscheinlich jedoch noch wesentlich mehr) an die obskure paramilitärische Terrorgruppe „Autodefensas Unidas de Colombia“ (AUC) gezahlt zu haben.

Die Geschäftsführung von Chiquita rechtfertigte die Zahlungen damit, dass man sich den „Schutz“ der Niederlassungen in Kolumbien habe erkaufen müssen. Doch diese Millionengabe an die AUC war weniger eine Schutzgebühr als vielmehr großzügiges Terror-Sponsoring.

Mit ihrer Unterstützung gehörte Chiquita mindestens acht Jahre lang zu den wichtigsten Geldgebern der Terrororganisation AUC und trug entscheidend dazu bei, den bürgerkriegsähnlichen Zustand in Kolumbien aufrecht zu erhalten. Immerhin waren die „Autodefensas Unidas de Colombia“ schon 2001 vom Außenministerium der USA offiziell zu einer „terroristischen Vereinigung“ erklärt worden. Und die Frage, wie viele Bürger Kolumbiens mit den von Chiquita bezahlten Waffen während der letzten 10 Jahre ermordet wurden, kann wohl nie ganz geklärt werden. Zurzeit liegen der Justiz Zivilklagen der Angehörigen von 173 Mordopfern vor, die nachweislich auf das Konto der AUC gehen. Allerdings ist dies nur die Spitze des Eisbergs, denn nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wurden allein in den Bananen-Anbaugebieten der Provinz Antioquia zwischen 1997 und 2004 432 Personen von den Paramilitares der AUC erschossen; darunter viele Gewerkschaftler, die mit ihren Forderungen dem Chiquita-Konzern „Probleme“ bereiteten.

In ganz Kolumbien dürfte die Zahl der mit „Chiquita-Gewehren“ ermordeten Menschen mindestens vierstellig sein.

Man möge sich nur einen Moment lang vorstellen, was wohl die Reaktion der US-Regierung gewesen wäre, wenn ein kolumbianischer Konzern Waffen im Wert von Millionen z. B. an eine ins Drogengeschäft verwickelte Latino-Gang in Los Angeles oder Miami geliefert hätte.

Die AUC, die vom US-Konzern Chiquita aus Cincinatti mit Geld zum Waffenkauf beliefert wurden, spielen nachweislich eine Hauptrolle im Kokaingeschäft, das die US-Regierung in Kolumbien und der gesamten Andenregion offiziell doch mit allen Mitteln bekämpfen will. In zumindest einem Fall wurden die Waffen sogar direkt von Chiquita an die AUC geliefert, als am 5. November 2001 in einem Lagerhaus von Banadex, einem Tochterunternehmen von Chiquita in Kolumbien, 14 Container mit insgesamt 3.000 Gewehren „zwischengelagert“ wurden, bevor die Terroristen sie erhielten.

Nach langen Verhandlungen wurde der Chiquita-Konzern im September 2007 von der US-Staatsanwaltschaft zur Zahlung einer Strafe von 25 Millionen US$ verdonnert. Bei dem Urteil wurde ausdrücklich die „Bereitschaft zur Aufklärung“ von seiten der Chiquita Brands gelobt. Nun gibt es doch tatsächlich Naivlinge, die hier die „Gerechtigkeit“ der US-Justiz loben, da sie ja den Chiquita-Konzern zur Zahlung einer hohen Strafe verurteilt habe. Diese Summe, die auf den ersten Blick stattlich wirkt, bedeutet für den global operierenden Obst-Giganten aber nur „Peanuts“ – im Vergleich zu dem, was juristisch möglich gewesen wäre (und hoffentlich noch ist).

Der eigentliche Skandal: mit diesem Millionen-Deal erkaufte sich die Konzernleitung absolute Straffreiheit – niemand der zehn Executive Managers, die diese kriminelle Geschäftspraxis beschlossen und von denen die Terroristen in Kolumbien beliefert wurden, wird zur Verantwortung gezogen! Ihre Namen werden geheim gehalten. Es handelt sich also um allzu bereitwillig gezahltes Schweigegeld. Wie „zufrieden“ Chiquita mit der Zahlung dieser 25 Millionen war, zeigt sich auch in der Tatsache, dass der Konzern einen Teil dieser Geldsumme schon vor der endgültigen Urteilsverkündung überwiesen hat! So verhält man sich, wenn einem bewusst ist, dass das Urteil eigentlich viel härter hätte ausfallen können (müssen!) und mit in die Politik hinein reichenden Konsequenzen zu rechnen gewesen wäre (die immer noch möglich sind, sofern Willen und Entschlossenheit der Regierung Kolumbiens in diese Richtung gehen).

Nicht nur die Familienangehörigen der Opfer verlangen nun, dass die Regierung Kolumbiens von den USA offiziell die Auslieferung der zehn verantwortlichen Chiquita-Manager verlangen soll. Aber es ist sehr zweifelhaft, ob Präsident Álvaro Uribe – bekannt als einziger Bush-Verbündeter in Südamerika – eine solche Forderung jemals stellen wird. Dabei wäre die Indizienlage ausreichend, den US-Konzern auch beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag anzuklagen.

Und dieser blutige Skandal ist nicht der erste, in den der US-Bananenkonzern verwickelt ist. Die massenhafte Ermordung geschäftsschädigender Personen scheint ein probates Management-Instrument zu sein, das schon vom Mutterkonzern Chiquitas, der United Fruit Company, angewendet wurde.

Am 6. Dezember 1928 kam es in der kolumbianischen Küstenstadt Ciénaga bei Santa Marta zu dem Blutbad, das als „Bananen-Massaker“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Kolumbianische Truppen, deren Entsendung von der United Fruit angefordert worden war, eröffneten unter dem Kommando des Generals Cortés Vargas das Feuer auf eine riesige Menschenmenge von Streikenden der Bananenplantagen, die sich nach der Sonntagsmesse auf dem Platz vor der Kirche versammelt hatten.

Die meisten der Toten wurden danach mit der Bananen-Eisenbahn der United Fruit Company abtransportiert und ins Meer geworfen.

Die Streikenden verlangten nichts anderes als humane Arbeitsbedingungen und schriftlich fixierte Verträge, die sie vor völliger Rechtlosigkeit schützen sollten. Bis heute konnte die genaue Zahl der Opfer dieses Massakers nicht geklärt werden. Waren es nur 50 (wie von General Cortés Vargas behauptet), waren es 3.000 (wie von liberalen Abgeordneten behauptet) oder 1.000 (wie vom US-Botschafter in Bogotá gemeldet)? In einem Telegramm vom 16. Januar 1929 an das Außenministerium der USA schreibt der US-Botschafter, offenbar zufrieden mit der „Auflösung“ des für die United Fruit Company so lästigen Streiks der Plantagenarbeiter: „Ich habe die Ehre zu berichten, dass der Vertreter der United Fruit Company in Bogotá mir gestern bestätigt hat, dass die Gesamtzahl der vom kolumbianischen Militär erschossenen Streikenden 1.000 übersteigt.“ (zitiert nach dem Buch von Ana Carrigan: „The Palace of Justice: A Columbian Tragedy“, 1993).

Literarisch verewigt wurde dieses Bananen-Massaker von Nobelpreisträger Gabriel García Márquez in seinem Roman „Hundert Jahre Einsamkeit“, in dem ebenfalls die „Verschwörung des Schweigens“ nach dem Blutbad thematisiert wird.

Zur Rechtfertigung des Massakers behauptete General Vargas später, dass die USA mit einer militärischen Intervention gedroht hätten für den Fall, dass die Interessen des US-Konzerns nicht ausreichend verteidigt würden. Diese Legitimationsstrategie ist zwar dreist, die Befürchtung, die dahinter stand, war aber keineswegs gegenstandslos. Denn die Lage war sehr instabil, die USA hatten tatsächlich mehrere Kriegsschiffe in der südlichen Karibik stationiert und US-Regierungen hatten im 19. und 20. Jahrhundert immer wieder eindrucksvoll demonstriert, dass sie keinen Spaß verstehen, wenn Wirtschaftsinteressen der USA gefährdet sind. So zog z. B. die Verstaatlichung der United Fruit Plantagen in Guatemala 1954 umgehend eine von der CIA organisierte Rebellion und den Sturz von Präsident Jacobo Arbenz nach sich.

Auch Kolumbien hatte 1903 schon am eigenen Leib erfahren, was geschehen kann, wenn man den Wünschen der US-Außenpolitik nicht entspricht. Damals war die kolumbianische Provinz Panamá durch eine von den USA geschaffene und mit Waffen belieferte „Unabhängigkeitsbewegung“ von Kolumbien abgespalten worden, nachdem mehrere kolumbianische Regierungen sich zuvor geweigert hatten, den USA Land für den Bau des Panamakanals zu verkaufen.

Die Geschichte des Bananen-Massakers von 1928 hat sich also, wenn auch in anderer Form, wiederholt und die Gesamtzahl der Opfer, die mit „Chiquita-Gewehren“ erschossen wurden, dürfte sogar noch höher liegen.