Tupi or not Tupi (10/2013)

Im Mai 2010 wurde an der brasilianisch-peruanischen Grenze ein indigener Stamm entdeckt und fotografiert, der zuvor wohl noch nie Kontakt mit Weißen hatte. Im droht nun – weniger blutig, aber ähnlich tödlich – wie vor 513 Jahren, die „Entdeckung“ durch die weißen Eroberer des Kontinents, die inzwischen allerdings mehrheitlich Mestizen sind.

Brasilien hören
Silberfuchs-Verlag
Auflage: 1 (8. April 2013)

Das neue Hörbuch über Brasilien beginnt mit diesen beiden Zusammentreffen. Im Jahre 1500 treten die überraschten Portugiesen gegenüber den Indigenen aus der Tupi-Sprachgruppe noch freundlich auf, aber das ändert sich schnell mit dem Wunsch nach Reichtümern und Missionierung. Die Indigenen werden ermordet, sterben zu Tausenden an eingeschleppten Krankheiten oder müsen ihren Lebensraum verlassen, weil die Portugiesen die Ressourcen ausbeuten, wie z.B. den Brasilholz-Baum, der innerhalb weniger Jahre durch Abholzung aus den Küstengebieten verschwindet. Alles das wissen wir u.a. deshalb, weil der hessische Söldner Hans Staden im Jahr 1553 von den Tupinambá gefangen genommen wurde und – obwohl er ihren Frauen zurufen musste „Ich, euer Essen komme“ – überlebte, und seine Erlebnisse in einem Reisebericht niederschrieb.

Ein wichtiges Ereignis in der Geschichte Brasiliens ist im 16. Jahrhundert die Entscheidung, schwarze Sklaven zu importieren, um die Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen etc. erledigen zu können. Ihre Leiden schildert eindrücklich der Jesuit Andrea Joao Antonio. Die Schwarzen vermischen sich mit den Weißen (seltener mit Indigenen) und so entsteht die heutige brasilianische Mestizen-Bevölkerung. Der Schriftsteller Gilberto Freire schreibt den schwarzen Ammen eine große Bedeutung zu, da sie die weiße Nachkommenschaft an ihrer Brust nährt, ihr ihre afrikanischen Lieder vorsingt und so die Gesellschaft bis heute kulturell prägt. Der afrikanische Beitrag zur brasilianischen Kultur ist kaum zu unterschätzen: Afoxé, Candomblé, Berimbau, nicht zuletzt die Capoeira, das Kampfspiel, das Jorge Amado als typischsten Ausdruck afro-brasiliansicher Kultur bezeichnet. Die brasilianische Gesellschaft entfernt sich nach und nach vom portugiesischen Mutterland, im Jahr 1820 schließlich auch politisch, ironischerweise beschleunigt durch die Flucht des portugiesischen Königshauses vor Napoleon nach Brasilien. Denn bei dessen Rückkehr sagt sich der Kronprinz vom Vater los und übernimmt 1822 als Pedro I. die Macht im nun unabhängigen Brasilien. Auf ihn gehen auch die Farben der Nationalflagge zurück. 1889 übernimmt im „Land der zwei Geschwindigkeiten“ das Militär die Macht und fügt das Motto „Ordem e progresso“ und die 27 Sterne für die Bundesstaaten hinzu. Fortschritt für den rückschrittlichen Sertão, durch einen blutigen Bürgerkrieg.

Im 20. Jahrhundert betritt das Land vor allem musikalisch die Weltbühne: nachdem Heitor Villa-Lobos mit einer neuen nationalen Musik, in der er auch afrikanische und indigene Klänge einarbeitet, Europa begeistert hat, erobern später Samba und Bossa Nova die Welt und untermalen das neue brasilianische Lebensgefühl, das sich auch in Oscar Niemeyers Hauptstadt Brasilia manifestiert. In den letzten Jahren hat Brasilien vor allem mit Gewalt, Drogenverbrechen und guten Wirtschaftsdaten bei uns Schlagzeilen gemacht. Die anstehenden Großereignisse – Fußball-WM, Olympia – hätten helfen können, das zu ändern, aber wahrscheinlich werden wieder nur Wenige profitieren und danach alles so sein wie zuvor: „Tupi or not Tupi, that is the question”, wie es einst Oswald de Andrade ironisch formulierte.

Andreas Fröhlich spricht diese kurze Geschichte Brasiliens wunderbar, begleitet wird sie, wie immer in dieser Serie, von einem feinen kleinen Booklet.

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