Von Engeln, Halbgöttern und Liebeszauber

Eine Stadt in der Provinz im Nordwesten Argentiniens. Ein halbes Jahr lang werde ich hier verbringen, studieren und in die „lateinamerikanische Perspektive“ eintauchen. …und dies beginnt bereits in meiner Unterkunft.

alex2Seit längerem hege ich den Verdacht, dass Ely, meine argentinische Mitbewohnerin, eine etwas, nun sagen wir mal, andere Wahrnehmung besitzt als Menschen, die ich gemeinhin als „normal“ bezeichnen würde. Sie wiederum scheint dasselbe von mir zu denken und so schleichen wir beide neugierig aber unauffällig umeinander und bewegen uns immer mehr auf generell heiklem Gebiet, nämlich dem der Religion, wobei unsere Gespräche zunehmend absonderlicher werden.

Ely erklärt, dass jeder Mensch – sogar ich – ständig von drei Engeln umgeben ist, die ihn bewachen und beschützen.

Vor meinem geistigen Auge tauchen unwillkürlich drei barocke Putten auf, die um meinen Kopf flattern. Da ich aber inzwischen mitbekommen habe, daß insbesondere der Katholizismus bisweilen die absonderlichsten Blüten treibt und ich Elys religiöse Gefühle nicht verletzen möchte, nicke ich nur und merke an, dass das ja sehr freundlich von den Engeln sei. Ein großer Fehler. Von nun an läßt mich Ely mit ihren Engeln nicht mehr in Ruhe. Sie erzählt mir von ihren Gesprächen mit Michael, Gabriel und Raffael, den Erzengeln, die sich in meiner Vorstellung – ich weiß nicht warum – in kleine fliegende Ninja Turtles verwandeln.

Die Engel, so vertraut sie mir an, wachen auch über katholische Lebensweise und Moral. Oha! Eigentlich seien sie dagegen gewesen, dass sie dieses Zimmer beziehe. Und Erzengel Michael habe ihr dann geraten, wenigstens ihr Bett umzustellen, da die Dämpfe des im Erdgeschoß gelegenen Geschäftes schädlich für die Engel seien.

Das Thema beginnt mich zu interessieren und sie, begeistert von der Möglichkeit, mich zu bekehren, beugt sich vor und erklärt bedeutsam: „In diesem Geschäft verkehren Menschen, die sich der santería verschrieben haben.“ Santería! Beschwörung afrikanischer Gottheiten! Blutige Rituale! Das muß erforscht werden!

alex4Bei nächster Gelegenheit betrete ich besagten Laden, der mich bis dahin nicht interessiert hat, da sich im Schaufenster nur Kerzen und Maria- oder Jesusfiguren in den kitschigsten Ausführungen befinden. Einmal eingetreten, schlägt mir ein Geruch nach Wachs, Weihrauch und Putzmittel entgegen. Der Laden ist bis zur Decke vollgestopft mit Kerzen in allen Farben und Formen, Statuen, Heiligenbildern, Rosenkränzen und Anhängern aller Art. Erst bei genauerem Hinsehen erkenne ich zwischen den Gebrauchsartikeln Seifen und Putzmittel für den Priester von heute, die eine ganz besondere Wirkung versprechen.

Da gibt es Putzmittel, die Häuser von bösen Geistern reinigen, Seife, die Reichtum anzieht oder Glück in der Liebe herbeizaubert. Letzteres gibt es sowohl für männliche als auch weibliche Liebesglücksuchende. Besonders praktisch erscheint mir die Seife de siete poderes, die ein kleines Rundum-Sorglospaket in siebenfacher Hinsicht verspricht: Geld, Glück, Gerechtigkeit, Beruf, Partnerschaft, Liebe und Ehe. Die Seifen verströmen alle denselben extrem penetranten Geruch und unterscheiden sich lediglich in ihrer Farbe. Rot für Liebe, Gelb für Gold, Weiß für die Sieben Mächte und so weiter. Genauso die Putzmittel: jeweils ein kleines Plastikfläschchen mit farbiger, aber immer im selben Duft gehaltener Flüssigkeit. Der Geruch ist so durchdringend streng, daß ich Ely einen Moment Recht gebe und an die engelschädigende Wirkung der Dämpfe glaube.

Ein Verkaufsschlager sind u.a. Hologramme der Jungfrau Maria fürs Portemonnaie, deren Augen einem beständig folgen. Die in einer Ecke versteckten Kräuter entpuppen sich zu meiner Enttäuschung als yuyo, sprich harmlose mate-Beigaben. Keine Hühner im Hinterhof für irgendwelche Rituale. Besonders „heidnische“ Artikel in Elys Sinne kann ich beim besten Willen nicht finden. Das mit der katholischen Moral, nun ja: Erzengel Michael hat sich wahrscheinlich an den phallusförmigen Kerzen gestört, die bei den Liebesglückartikeln stehen und in allen Farben verkauft werden. Ein bisschen enttäuscht bin ich schon. Den Zauberseifen jedenfalls kann ich nicht widerstehen, mit etwas Phantasie in eine kleine Geschichte verpackt geben sie ein prima Geschenk in Deutschland. Doch siehe da, an der Kasse in einer Kiste finde ich dann doch noch einen Hauch santería.

alex1Wie nach alten Postkarten kann man dort nach eingeschweißten fichas mit Heiligendarstellungen suchen, das entsprechende Gebet auf der Rückseite. Ich finde eine Karte mit der Darstellung einer Frau vor einem Flammenmeer; sie hat Hörner auf der Stirn, einen Spieß in der Hand und lächelt den Betrachter selbstbewußt und herausfordernd an. Wie eine Heilige sieht sie nicht gerade aus. Ihr Name ist Pomba Gira, eine brasilianische orisha, also eine Halbgottheit ursprünglich afrikanischer Herkunft, welche die Sklaven bis weit ins 19. Jahrhundert aus ihrer Heimat mitbrachten.

Offensichtlich wird sie auch in Argentinien noch heute verehrt, und das obwohl Argentiniens schwarze Bevölkerung hauptsächlich durch Nichtexistenz besticht: Stellten die Sklaven um 1800 noch einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung von Buenos Aires, wurden die meisten im Tripel-Allianzkrieg gegen Paraguay Ende des 19.Jahrhunderts an vorderster Front als Kanonenfutter verheizt. Doch zurück zur Karte. Das Gebet stellt sich als Anweisung zu einem Liebeszauber heraus:

An Pomba Gira
Salve Pomba Gira! Salve María Padilha. Salve María Mulambo Laroie. Exú Pomba Gira. Frau der sieben Exús. Und Verteidigerin der Frauen, ich bitte und flehe um (…). Im Gegenzug biete ich dir an (…).
Königin Pomba Gira, um die sieben Exús, welche deine Schritte begleiten, um die sieben Führer auf deinem Weg; ich bitte dich um deinen Schutz, damit meine Wege frei seien, frei in allen Sinnen, hauptsächlich um das Herz von (…) zu erlangen. So soll es sein.

(Anweisung: Die Gabe überreichen, den Wunsch dabei äußern und dreimal hintereinander sagen:
„Laroie, exú, mojuba a los pies de Pomba Gira!“)

Pomba Gira sieht mir nicht so aus, als krümme sie auch nur den kleinen Finger ohne ein bisschen Hühnerblut. Also doch!

Auf einer anderen Karte, an den Herrn Tod gerichtet, heißt es: „Señor, La Muerte, bitte du den Allmächtigen Gott, er möge mir alles gewähren, um was ich dich bitte, dass derjenige, der mir Schaden zugefügt oder mich mit dem Bösen Blick angesehen hat, sein ganzes Leben lang bereue, und dass sich alles sofort gegen ihn selbst wenden möge. Mach, dass der, der mich in der Liebe betrügt, zu mir zurückkehrt, und, wenn er deiner wundersamen Stimme, Guter Geist des Todes, nicht gehorcht, lass ihn die Macht deiner Sense spüren.(…) Im Spiel und im Geschäft benenne ich dich als meinen besten Anwalt. (…) Amen!“

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Die Verkäuferin lächelt nur, als ich ihr die Karte fragend entgegenhalte. Überhaupt ist sie auffällig zurückhaltend. In allen anderen Geschäften der Stadt wird man von mindestens zwei Angestellten umgarnt, sie hingegen schweigt.

Im nachhinein fällt mir auf, dass ich nie jemanden diesen Laden habe betreten sehen. Lediglich ein paar vorüber hastende Passanten bekreuzigten sich, wenn sie vorbeikamen, ganz so wie sie es tun, wenn sie auf eine Kirche stoßen. Sei es Huldigung an die orishas vom Schlage Pomba Giras oder Beschwichtigungsgeste an ihre Schutzengel.

Jedenfalls betrachtete Ely mich seitdem nur noch flüchtig von der Seite – wahrscheinlich haben mich die drei, Michael, Gabriel und Raffael, verraten und ihr empfohlen möglichst jeglichen Kontakt mit mir zu vermeiden.