Verdammt, Méndez. Verdammt, Lübbe. (11/2013)

Ich bring dich um, raunte ihm im Hinterzimmer einer Kneipe ein wohlverdienter Bürger zu, der auf den Namen Chinga hörte. „Du hast meine Frau entkommen lassen. Sie will mich erledigen, aber vorher mach ich dich kalt, das schwöre ich dir.“
„Du schuldest mir zehntausend Peseten, Méndez“, informierte ihn kurz darauf seine Zimmerwirtin. „Sie haben gestern das Geld für das Zeitungsabo kassiert.“
„Sie müssen mir meine Pistole wiederbeschaffen, Méndez“, verlangte an einer Ecke einer seiner bewährtesten Informanten. „Man hat sie mir gestern gestohlen.“
„Ach ja? Und wo hattest du sie?“
„Wo ich sie immer habe. Im Hosenbund. Der hatte ein geschicktes Händchen.“
„Weißt du, wer es war?“
„Klar.“
„Wer?“
„El manco, der Einarmige.“
„Und du hast wirklich nichts gemerkt?“
„Na ja, gemerkt hab ich schon was. Aber eben nur was.“
„Was denn?“
„Ich hab gedacht, der tut das aus Freundlichkeit.“
„Ich werde tun, was ich kann“, versprach Méndez. „Aber es hängt davon ab, wo er sich versteckt hat. Es gibt Stellen, da stecke ich meine Hand nicht hin.“
„Natürlich … Früher waren Sie nicht so zimperlich, Méndez. Mann kann sich auf niemanden mehr verlassen.“

Die Rache der Träumerin
Autor: Francisco González Ledesma
Taschenbuch: 304 Seiten
Verlag: Bastei Lübbe (November 2011)
ISBN-13: 978-3431038507

Gott wartet an der nächsten Ecke
Autor: Francisco González Ledesma
Taschenbuch: 416 Seiten
Verlag: Bastei Lübbe (Juli 2012)
ISBN-13: 978-3404166862

Der Tod wohnt nebenan, unter dem Originaltitel Una novela de barrio im Jahr 2007 erschienen, ist der erste auf deutsch publizierte Méndez-Roman des Autors Francisco González Ledesma. Es folgten Die Rache der Träumerin (La dama de Cachemira, 1986) und Gott wartet an der nächsten Ecke (Historia de Dios en una esquina, 1991). Eine Chronologie allerdings ist in der Vorgehensweise des Verlags Bastei Lübbe nicht auszumachen. Vor allem wenn man die gesamte, zehn Titel umfassende, Inspector Méndez-Reihe mit einbezieht, scheint uns der Verlag kreuz und quer durch die Original-Erscheinungsjahre mit weiterem Barcelona-Kriminalstoff auf deutsch versorgen zu wollen. Denn auch in den Jahren zwischen den drei bereits übersetzten Werken, hatte Ledesma für spanischsprachige Leserinnen und Leser Inspector-Méndez-Krimis publiziert.

Als Méndez vorübergegangen war, blickte sie auf die Uhr. […] Es war eine weise Uhr, die typische Uhr des verstorbenen Großvaters. Die phosphoreszierenden Zeiger zeigten zwanzig vor drei in der Früh an, am Tag zuvor hatten sie fünf nach zwei angezeigt, als Méndez an dieser Stelle vorübergegangen war. Dieser unmögliche Rhythmus machte es unmöglich Méndez eine Falle zu stellen, und bestätigte zudem seine alte Theorie, dass ein unordentlicher chaotischer Mensch, der keine festen Gewohnheiten hat, geschweige denn eine Ehefrau, hundert Jahre alt wird. Die Gestalt im Rollstuhl erhob sich, steckte die Uhr ein, spähte in die Dunkelheit und trat den Rückzug an.

Méndez kennt sie alle, all die, die zu nachtschwärmerischer Zeit in den Bars von Raval und Poble Sec verkehren, die Prostituierten, die Zuhälter, die Ganoven. Steht ihm sein Vorgesetzter auf den Füßen, nimmt er ein paar von ihnen hoch. Ein berufliches Erfolgserlebnis für die Akten. Ansonsten schützt er sie, meist vor dem Gesetzt. Verdammt, Lübbe! Gut gemacht! Ein dermaßen erlesener Schauplatz, ein dermaßen unschlagbarer Kenner des Subversiven, ein unglaublich sympathischer Kriminaler mit einer nicht genehmigten Dienstwaffe und der körperlichen Fitness eines in die Jahre gekommenen Unsportlichen. Verdammt großes Lob, dass du diesen Inspector Méndez ins Deutsche geholt hast.

Trotzdem übersteigt es meinen begrenzten Horizont, warum bis 2011 kein anderer Verlag auf die Idee gekommen war, das brillante Werk Francisco González Ledesmas zu übersetzen und auf dem deutschen Markt feilzubieten. Doch auch Bastei Lübbe macht Fehler.

Die Casta war eine in Ehren ergraute Veteranin, eine verdiente Anwärterin auf die Arbeitsmedaille, die das mit der Metallgewerkschaft in den ersten Berufsjahren tatsächlich noch erlebt hatte; das war 1936 eine Idee der Kommunisten in Barcelona gewesen, um den Genossinnen Huren gebührende soziale Anerkennung in der Arbeitswelt zu verschaffen. Weil damals jeder zu einer Gewerkschaft gehören musste und man damals nicht so genau wusste, in welche man die Damen stecken sollte, fiel die Wahl nach reichlicher Überlegung auf die Metallgewerkschaft, denn der Arbeitsplatz der Genossinnen hatte doch schließlich eng mit der Sprungfedermatratze zu tun. Und so blieb es bis zum endgültigen Sieg der glorreichen Erhebung, deren Name den ehrenwerten Damen vom Fach ebenfalls eine Zuflucht hätte bieten können – aber das war allein Méndez’ Meinung.

Der Méndez-Roman: Gott wartet an der nächsten Ecke
Méndez entdeckt als er einem Verbrecher in Richtung Friedhof hinterher jagt ein totes Mädchen. Zunächst scheint es, als habe ein alter Bekannter auf Freigang damit zu tun. Dann aber führt ein Überwachungsjob den Inspector nach Madrid und er lernt sowohl die faszinierende blinde Mutter des getöteten Mädchens als auch deren beider Väter kennen. Die Geschichte der Familie ist herzzerreißend, doch der Zwist zwischen Auftragskillern und erneute Geldforderungen an die gebeutelte Mutter unter Androhung, dass auch ihr zweites Kind dran glauben müsse, verlagert die Szenerie nach Ägypten. Schließlich kommt es in Kairo auf dem Friedhof „Stadt der Toten“ zum Showdown zwischen Gut und Böse.

Der Méndez-Roman: Die Rache der Träumerin
Méndez jagt den Mörder im Rollstuhl, auch wenn er mit dem Fall weder beauftragt noch seine Anwesenheit bei der Aufklärung erwünscht ist. Méndez nimmt uns mit auf die Jagd. Und weil er damals schon nicht mehr der Schnellste ist, lernen wir an seiner Seite die Menschen der Mitte der 80er Jahre noch verruchten Viertel Barcelonas kennen. Neben den Genossinnen Huren, Kleinkriminellen, Wirtinnen und Hoteliers auch die langweiligen Menschen: die vom homosexuellen Ehemann verratene Ehefrau, den vom Tod des Homosexuellen erschütternden Freund, die vom widerlichen Baulöwen unter Druck gesetzte Altbackene, die vom widerlichen Baulöwen um ihr Leben Gebrachte und die Tagträumer.

Geschickt sprang Méndez mit sechs Hüpfern die fünf Stufen hinauf. Er war heute Morgen gut in Form, und so erreichte er ohne künstliche Beatmung die Eingangshalle.
Er sah sich um.
Nichts.
Nur etwas eingetrocknetes Blut an einem Möbelstück.
Eine umgestürzte Lampe, ein offenes Fenster.
Das schien schon seit Stunden so zu sein.
Méndez stieß einen Fluch aus.
Er sah hinaus in den leeren Garten.
Das Fenster befand sich auf der Höhe eines Zwischengeschosses, und Méndez wollte hinunterspringen, in der Hoffnung, einem möglichen Flüchtling auf diese Weise den Weg abschneiden zu können.
„Ich bin ein dynamischer Polizist“, sprach er sich Mut zu.
Er schwang ein Bein über die Fensterbank und bekam einen Krampf.

Der Fehler
Zwei Werke, eine Übersetzerin. Eines phänomenal in die deutsche Sprache übertragen mit all dem anrüchigen Wortwitz, der Poesie der Straße, der Unterwelt und der in die Jahre gekommenen Dirnen. – Eines nüchtern, langweilig und ohne Muse dahin geschmiert. Schwierig, den oder die Schuldige auszumachen. Aber irgendetwas war oder ist da im Busch. Sehr schade. Ich hoffe, dass Bastei Lübbes Lust auf mehr von Francisco González Ledesma nicht erlahmt ist. Denn in 2013 wurde bislang kein weiterer Inspector-Méndez-Fall herausgegeben.

Die Empfehlung
Liebe Kinder! Ihr sucht ein Weihnachtsgeschenk für Mami, Papi, Onkel und Tanten. Auf dem Nachtisch liegen Henry Miller, Manuel Vázquez Montealbán, Charles Bukowski und Rolo Diez, dann ab in die nächste Krimi-Buchhandlung und folgende zwei Werke ordern: Der Tod wohnt nebenan und Die Rache der Träumerin. Und lasst euch auf keinen Fall von Gott wartet an der nächsten Ecke verführen.

* Alle Zitate stammen aus Die Rache der Träumerin
* Weitere Infos zu Der Tod wohnt nebenan

Cover: amazon