Quo vadis Kuba? (08/2016)

„Quo vadis Kuba?“, diese Frage haben sich Mitarbeiter der Zeitschrift „Melodie und Rhythmus“ (M&R) gestellt und sind auf die Insel geflogen, um sich selbst ein (musikalisches) Bild zu machen. Die Autoren der Texte / Interviews im Schwerpunkt „Viva Cuba“ (Heft Juli / Aug. 2016) haben bei ihrem Besuch Liedermacher, Rapper, Jazzer und Rockmusiker getroffen, viele Konzerte besucht und die Stimmung auf der Insel aufgesaugt. In Interviews mit u.a. dem Jazzer Javier Zalba, dem spanischen Flamenco-Sänger „El Cigala“ (sehr lesenswert!) oder der Sängerin Omara Portuondo erkunden sie die persönlichen Biographien der Musiker, aber auch die Geschichte der Insel und das Wesen der kubanischen Musik. Ein lobenswertes Projekt in Zeiten fortschreitender Digitalisierung, in denen Printprodukte und CD´s aus der Mode kommen.

Diverse
Viva Cuba
M&R / Verlag 8. Mai

Dabei sollte man wissen, dass M&R eine dem Marxismus und der Frankfurter Schule verhaftete Zeitschrift ist, denn die politischen Hintergründe werden oft nur durch das linke Brillenglas betrachtet und gipfeln so manchmal in einer für ausschließlich politisch-ideologisch denkende Menschen typischen Schwarz-Weiß-Malerei: Kuba = gut, USA („das Imperium“, S. 30) / Yankee-Musik = schlecht. So einfach ist es nicht! Und der kubanische Musikwissenschaftler Olavo Alén verzichtet bezeichnenderweise in seinem aufgezeichneten Gespräch über die Musikgeschichte denn auch auf solche Schlussfolgerungen. Ebenso der Liedermacher Gerardo Alfonso, der zeitweise sehr unter der staatlichen „Zensur“ zu leiden hatte, und der im Interview sehr offen über die früheren und aktuellen Missstände der Revolution berichtet, die nämlich vielfach hausgemacht waren bzw. sind, und die inzwischen auch auf der Insel (teilweise) von Historikern aufgearbeitet werden (Tobias Thiele hingegen „vergisst“ in seinem Artikel über die „Trova / Nueva Trova“ mal eben die teils erheblichen Schwierigkeiten, die jede Generation der Liedermacher mit den staatlichen Institutionen hatte (z.B. Pablo Milanés, Carlos Varela, Pedro Luis Ferrer).

Besonders durchsetzt mit ideologischen Spitzen ist der einleitende Text von Gerd Schumann, ehemaliger Leiter des Ressorts Außenpolitik der jungen Welt (!), der anscheinend den Untergang des Sozialismus emotional noch nicht verarbeitet hat. Leider streifen sie oft nur die Oberfläche eines Problems und die Wortwahl erinnert an Reden von Honecker und Ulbricht über „Beatmusik“: „Der Import von westlichen Riten und Ritualen – auch Kultur genannt – soll das Tor öffnen für die Etablierung einer bewusstseinstechnischen Verflachungstendenz, die den Menschen zu […] einem auf Konsum fixierten Wesen verformt“.

Das ist kein neues Phänomen auf der Insel und war nur durch die Blockade einerseits und die staatliche „Verleumdung“ andererseits in den 1960er-80er Jahren abgeschwächt. Die (junge) Bevölkerung aber fühlte sich immer zu anglo-amerikanischer und europäischer Musik / zu US-Produkten hingezogen, daran änderte auch eine sozialistische Erziehung nichts. Nicht umsonst versuchte man auch in Kuba Ersatzprodukte wie den songo zu schaffen, vergeblich. Der hier als straffer Sozialist zitierte Ex-Kulturminister Abel Prieto war / ist übrigens bekennender Beatles-Fan und die treibende Kraft hinter der Aufstellung der Lennon-Statue in Havanna.

Es freut mich natürlich, dass Herr Schumann mich im seinem anderen Text über die Rocksmusik Kubas zitiert, aber auch dieser ist – wenn man die Geschichte und die Szene lange begleitet hat – sehr verharmlosend. Denn ob es nun „der Staat“ oder „nur“ seine Kulturfunktionäre waren, Tatsache ist, dass viele Rockmusiker und –fans erhebliche Nachteile für ihre Leidenschaft hinnehmen mussten, bis hin zu Lager- oder Gefängnisstrafen.

„Die Kubaner trauen ihrer Regierung zu, die weitere Entwicklung zu meistern…“, ist ein weiteres Zitat aus dem Heft. Das freut mich, aber ich befürchte, dass es sich hier um das Phänomen einer selektiven, in diesem Fall linken, Wahrnehmung handelt: In Studien zum Leseverhalten wurde belegt, dass Menschen am liebsten das lesen, was ihre Meinung weitestgehend bestätigt. Und solche Menschen trifft und spricht man auch gerne, das scheint auch den Autoren so gegangen zu sein. Ich jedenfalls habe bei meinen acht Aufenthalten auf der Insel viele Menschen getroffen (und mit ihnen gearbeitet), die das anders sahen, darunter sympathische und vom Sozialismus überzeugte Studenten, Journalisten und Funktionäre, die im weiteren Verlauf unserer Bekanntschaft auf einmal in Madrid oder Miami lebten… (und das waren nicht nur sog. „Wirtschaftsflüchtlinge“).

Als weitere Quelle in der Literaturfülle über die (Musik der) Insel hat das Heft (und die CD) seinen Wert, besonders, wenn die ideologischen (Unter)Töne entfallen, wie z.B. im interessanten Interview über das Urheberrecht etc., oder wenn wie im Text „Zwei Kulturmodelle im Kampf“ bewusst die kommunistische Kulturvorstellung dem Modell der USA gegenüberstellt wird. Und dort stehen dann auch die Kernsätze des ganzen Hefts, vom Journalisten Enrique Ubieta: „Die einzige Lösung [zur Rettung Kubas] ist, um kritische Menschen zu kämpfen, die in der Lage sind zu differenzieren, und das eine vom anderen Produkt zu unterscheiden“, und „…brauchen wir einen starken Staat, der das Authentische der Kultur fördert“ (womit natürlich kein irgendwie zensierender Staat gemeint sein kann). Nur das wird „gegen die drohende Ausplünderung…“ helfen, die im Editorial befürchtet wird.

Cover: M&R Verlag