Pro und Contra Bolivarische Republik (12/2005)

Die Bemerkung des US-Fernsehpredigers Pat Robertson, man solle mit dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez „Schluss machen“ (im Sinne von exekutieren), rief zwar in den USA offiziell Empörung hervor, entspricht aber durchaus dem Wunsch der Administration Bush. Schon lange ist der links-populistische Präsident den USA ein Dorn im Auge. Nicht nur wegen seiner Freundschaft zu Fidel Castro, sondern auch, weil die USA rund 15 Prozent ihres Ölbedarfs aus Venezuela decken. Der Band „Venezuela. Die Bolivarische Republik“ bringt Licht in die Hintergründe des Abstiegs der einstigen lateinamerikanischen Vorzeigedemokratie Venezuela und des Aufstiegs von Hugo Chávez. Warum versinkt ein Land, das große Ölvorräte und andere Naturschätze besitzt, in bürgerkriegsähnlichen Zuständen und verbreiteter Armut? Die Beiträge von Mitherausgeber Andreas Boekh sowie von Friedrich Welsch und Nikolaus Werz beleuchten die historische Dimension der aktuellen Lage und kommen zu folgendem Ergebnis: Das Öl war letztendlich kein Segen für das Land, weil die Eliten den Reichtum nicht in den Aufbau des Landes steckten, sondern in die eigenen Taschen und in den Aufbau von Institutionen, um verdienten Parteigängern Posten überlassen zu können.

Venezuela. Die Bolivarische Republik

Rafael Sevilla/ Andreas Boekh (Hrsg.)
Venezuela. Die Bolivarische Republik
Horlemann Verlag, Bad Honnef 2005, 348 S., 19,90 Euro

Die Korruption und der Unwille der Elite, ihr eigenes Land zu entwickeln, führten letztendlich zum Zusammenbruch der seit 1958 relativ stabilen Demokratie und zur Diskreditierung der beiden Volksparteien. Diese Lücke füllte Hugo Chávez. Sein Gedankengut wird von einer Mischung aus Bolívars Unabhängigkeitsidealen, Enrique Zamoras Kriegserklärung an die Eliten und Norberto Ceresoles Thesen einer postdemokratischen Zukunft Lateinamerikas beherrscht, angereichert mit links-populistischen Elementen vieler weiterer Vordenker. Ein Marxist jedoch ist er nicht, stellen Boeckh und Graf in ihrem sehr erhellenden Annäherungsversuch an das ideologische Konstrukt des venezolanischen Präsidenten fest.

Leider hält er am rentengestützten Entwicklungsmodell fest und entzieht sich in vielen Fragen einer Kontrolle durch andere politische Institutionen, so dass die Opposition sowie in- und ausländische Medien genügend Ansatzpunkte für scharfe Kritik finden. Sein Anti-Parteienkurs ist zwar vor dem Hintergrund der Dekadenz der alten Parteien verständlich, bietet (mittelfristig) aber keinen Ersatz für demokratische Strukturen. Das kritisiert auch Teodoro Petkoff, der als gemäßigter Gegner von Hugo Chávez gilt. Dessen Umgang mit den Medien, aber auch deren Umgang mit dem Präsidenten beschreibt er detailliert und nachvollziehbar, vor allem, wenn es darum geht, die Entstehung eines Konfliktes nachzuzeichnen, der durch die Denk- und Handlungsweisen eines Ex-Militärs (Konfrontation statt Kompromiss) und Revolutionärs („wer nicht für mich ist, ist ein Konterrevolutionär“) polarisiert und verschärft wurde. Die Erfolge der Regierung Chávez’ vor allem im Erziehungs- und Sozialwesen sowie die Strategien zum Sturz Chávez’ beschreibt Luis Britto García, ein Anhänger der Bolivarischen Republik. Seinen Zahlen – also den offiziellen – traut man allerdings nicht so recht, vor allem, weil Boeckh abweichende Werte aus anderen Quellen zitiert. Unbestritten ist Chávez Verdienst um die Partizipation der indigenen Völker am politischen Prozess, Thema eines Artikels im Abschnitt „Rechtskultur“, in dem weitere Beiträge die neue Verfassung und ihre Folgen analysieren. „Die Opposition hat kein eigenes Projekt außer dem eisernen Willen, zurück an die Macht […] zu kommen“, fasst Peter B. Schumann seine Erfahrungen in Venezuela zusammen und bestärkt mich in meiner Meinung, dass die Eliten Lateinamerikas nicht reformfähig sind und deswegen allesamt aus der politischen Verantwortung entlassen werden müssen. Seinen Artikel sollten sich in puncto Ausgewogenheit die deutschen Medien – konservative wie linke – zu Herzen nehmen.

Im Abschnitt zur Wirtschaft des Landes geht es naturgemäß um das Erdöl, aber auch um die Entwicklungspotentiale im Tourismussektor. Der Beitrag „Zur Geschichte der Musik in Venezuela“ steht als Kulturbeitrag – wie so häufig in dieser Reihe – sehr einsam da. Er beschäftigt sich außerdem fast ausschließlich mit der Geschichte der Kunstmusik: Obwohl der Autor anmerkt, dass die folkloristische Musik des Landes sehr reich ist, schreibt er fast nichts darüber und lässt alle neueren Entwicklungen in der Kunst- und Popularmusik ganz weg. Das Buch endet mit einem für uns Deutsche aufschlussreichen und humorvollen venezolanischen Blick auf unser Land.

Diese Anthologie ist eine notwendige Publikation, die nicht dem in der deutschen Presse üblichen, meistens auf Halbwissen basierenden Anti-Chávez-Kurs folgt, aber auch nicht der blinden Verehrung linker Träumer und Medien, die in Venezuela eine verbesserte kubanische Revolution verwirklicht sehen.