Ofen-Meerschweinchen mit gefüllten Paprikas

Auf der Suche nach Rocotos eilt Doña Claudia von Marktfrau zu Marktfrau. Die scharfen Paprikaschoten sind ihr mal zu teuer, mal zu weich oder zu klein. Es dauert lange, bis sie fündig wird und nach hartnäckigem Feilschen eine Tüte voller gün-gelb-rot-oranger Früchte ihr Eigen nennt. Nun braucht sie noch Erbsen und Möhren. Wir trotten hinter Doña Claudia her, den Blick auf den Boden gerichtet, denn dort präsentieren Bäuerinnen in traditioneller Tracht die Überschüsse ihrer Ernte. Tomaten, Maiskolben und Rote Bete türmen sich zu kunstvollen Pyramiden. Der Duft von Koriander, Gladiolen und Ziegenkäse liegt in der Luft. Schafsköpfe, Heilkräuter und Zimtstangen wechseln ihren Besitzer. Auf einmal hallt ein tiefes Tuten durch den Ort. „Das sind die Varayocs, die Bürgermeister aus den umliegenden Gemeinden. Sie kommen jeden Sonntag nach Pisac, um an der Elf-Uhr-Messe teilzunehmen. Lauft schnell rüber zur Kirche und schaut. Ich gehe derweil nach Hause und fange schon mal mit dem Kochen an“, sagt Doña Claudia und ist weg.

Vor dem weiß getünchten Gotteshaus stehen sieben Männer in farbenfrohen Ponchos. Sie tragen schüsselförmige, rote Hüte und halten zum Zeichen ihrer Würde silberbeschlagene Zeremonienstäbe in den Händen. Begleitet werden die Varayocs von zipfelbemützten Jungen mit Schneckenhörnern, den sogenannten Pututus. Diesen entlocken sie das tiefe Tuten, um böse Geister zu vertreiben. Immer mehr Gläubige strömen in die Kirche. Die Bürgermeister samt Gefolge schließen sich an. Der Gottesdienst beginnt. Er wird von einem katholischen Pfarrer mit Headset-Mikrofon auf Quechua gehalten. Die Jahrtausende alte Andensprache klingt kehlig-schön, wir verstehen allerdings kein Wort. Weil wir Doña Claudia versprochen haben, beim Kochen zu helfen, verlassen wir frühzeitig ganz leise die feierliche Messe.

Pisac ist ein kleines Örtchen in den peruanischen Anden. Es liegt in 2950 Meter Höhe und wird von Quechua-Indígenas bewohnt. Die Straßen sind kopfsteingepflastert und führen uns aus dem Zentrum hinaus zu Doña Claudias Adobe-Häuschen. Hier wohnt sie gemeinsam mit ihrem Mann, acht Kindern und drei Enkeln. Wir werden freudig empfangen und vernehmen inmitten des Begrüßungsspektakels „Gut, dass ihr da seid, denn die Meerschweinchen müssen dringend zum Ofen gebracht werden“.

Wie die meisten Quechua-Indígenas züchtet auch Doña Claudia Meerschweinchen, die in Peru Cuy heißen und bis zu 35 Zentimeter lang werden. Am Vorabend hat sie drei Cuys geschlachtet, vom Fell befreit, ausgenommen und mit einer Knoblauch-Kreuzkümmel-Huacatay-Sauce mariniert. Nun liegen die pestogrünen nackten Nager mit rot-gelb-gesprenkelten Kartoffeln in einer Plastikwanne. Gemeinsam mit Ehemann Don Florentino bringen wir sie zu einem von sieben großen Lehmöfen, die die Bewohner Pisacs gemeinschaftlich nützen. Darin glühen Kohlen, die die Cuys und Erdäpfel goldgelb grillen. Zwei Stunden später sind die Ofen-Meerschweinchen (Cuys al Horno) und -Kartoffeln (Patatas) fertig. Dazu serviert Doña Claudia Erdnusssauce (Salsa de Maní) und scharfe Paprikaschoten, die wir zwischenzeitlich mit einem Möhren-Zwiebel-Erbsen-Gemisch gefüllt haben (Rocotos Rellenos).

Meerschweinchen zu essen, fällt uns nicht schwer. Schließlich sind wir weltoffen, neugierig und haben Respekt vor den Traditionen unserer Gastgeber. Dennoch oder gerade darum erzählt Michael während des köstlichen Mahls von Hansi, seinem niedlichen Streicheltier aus Kindheitstagen. Im Gegenzug erfahren wir, dass Cuys erst im 18. Jahrhundert mit den Spaniern von Südamerika nach Europa gelangten. In Peru hingegen sind sie seit 7000 Jahren ein wichtiges, proteinhaltiges Nahrungsmittel.

Dass schon in prähispanischer Zeit Meerschweinchen gezüchtet wurden, zeigt uns Doña Claudia beim Besuch der Ruinenstätte Pisac, die auf einem Berg über dem gleichnamigen Ort thront. Die Felsenfestung wurde vermutlich 1450 von den Inka erbaut, ist weitläufig und in mehrere Abschnitte untergliedert. Einer ist der Wohnbereich, der das Zuhause von Menschen und domestizierten Meerschweinchen war. Die kleinen Tierchen lebten in der Küche und unter den Betten, wovon bis heute cuy-große Löcher in den steinernen Schlafstätten zeugen. Allerdings sind nicht die Meerschweinchen-Behausungen der Höhepunkt der Inka-Ruinen. Vielmehr gibt es mehrere Hundert Gräber, Wachtürme und ein zeremonielles Zentrum mit mächtigem Felsblock, dem Intihuatana. Das ist ein Quechua-Wort und heißt „Ort, an dem man die Sonne fesselt“. Welche Bedeutung der Intihuatana tatsächlich hatte, weiß man nicht. Wahrscheinlich haben Astronomen mit seiner Hilfe den Sonnenlauf und damit Saat- und Erntezeitpunkte bestimmt.

Ebenfalls beeindruckend finden wir die Terassenfelder, die die Felsenfestung umgeben. Sie wurden von den Inka im bergigen Gelände angelegt, um horizontale Flächen und damit Ackerland zu gewinnen. Kanäle verbinden die Terrassen und ermöglichten so eine rationelle Bewässerung der Felder. Auf ihnen wurden bereits in prähispanischer Zeit Kartoffeln, Mais, Quinoa, Kürbisse, Tomaten, Erdnüsse und Rocotos angebaut. „Es ist unglaublich, dass ich heute mit den selben Zutaten koche wie meine Vorfahren vor Jahrhunderten!“, sagt Doña Claudia begeistert. „Morgen werde ich für euch eine Quinoasuppe zubereiten, übermorgen Kartoffelpüree und dann einen Kürbisauflauf…“ Uns gelingt es kaum, den Redefluss unserer Gastgeberin zu stoppen. Wir mögen die peruanische Küche und vor allem Doña Claudias Hausmannskost. Aber unsere Zeit ist begrenzt, so dass wir leider unmöglich alle regionalen Spezialitäten probieren können. – Doch vielleicht beim nächsten Mal!

Fotos: Dr. Jutta Ulmer + Dr. Michael Wolfsteiner