Mondlicht nach dem Sturm

Langsam zieht sich der Himmel zu. Immer tiefer hängen die Wolken, immer schwerer. Wo eben noch ein strahlendes Blau den Raum bis zum Horizont füllte, macht sich jetzt eine düstere Melange tiefer Grautöne breit. Wind kommt auf, wie aus dem Nichts. In Minutenschnelle wird er zu einem tösenden Sturm. Die Rebstöcke hinter der Wine Lodge Narbona biegen sich zu allen Seiten. Regen setzt ein. Nicht langsam und kein erstes leichtes Tröpfeln, sondern sofort dicke schwere Tropfen, die mit der Kraft von Hagelkörnern gegen das Fenster prasseln. In kürzester Zeit sind die Weinfelder des Weinguts im Südwesten von Uruguay von einem dichten Regenschleier überzogen.

Weingut Narbona in Uruguay
Weingut Narbona in Uruguay

Immer schneller und immer schwerer schlagen die Tropfen gegen die Scheiben, bis von der Umgebung draußen nur noch vage das saftige Grün zu erkennen ist. Der Takt und die Lautstärke des Regens erinnern an das rhythmische Trommeln einer Sambagruppe.

Mit der Zeit wird es noch dunkler. Die Sonne ist untergegangen, die Dämmerung setzt ein. Als der Himmel schon fast schwarz ist, zieht das Unwetter weiter und gibt auf einmal die Sicht frei auf einen vollen runden Mond, der langsam in all seiner Pracht aufsteigt.

So tief schwarz wie der Himmel leuchtet auch der Wein in meinem Glas. Schwarz mit zarten rubinroten bis dunkelblauen Reflexen. Der äußere Kranz strahlt in einem fast synthetischen Magenta. Schwarz ist die charakteristische Farbe der National-Resorte Uruguays: kein anderes Land baut so viel Tannat an. Nirgends sonst gibt es Winzer, die die Ecken und Kanten dieser höchst tanninhaltigen Sorte – daher der Name – so gekonnt abzurunden wissen. Selbst die französischen Gewächse können nicht mit ihnen mithalten.

Narbona Tannat Luz-de-Luna' 2011: Auf der Zunge dominieren dunkle, herbe Früchte in Personalunion mit Pflaumenmus, Tabak, Kaffee und reinstem Kakao.
Narbona Tannat Luz-de-Luna‘ 2011: Auf der Zunge dominieren dunkle, herbe Früchte in Personalunion mit Pflaumenmus, Tabak, Kaffee und reinstem Kakao.

Aus dem Glas strömt ein extrem intensiver Duft nach oben: Eine Mischung aus Brombeeren, Preiselbeeren und vor allem Schleen gepaart mit Rosmarin und Pfeffer und einem kaum wahrnehmbaren Vanillehauch steigt in die Höhe. Er verrät, dass der Wein etwas Zeit im Holzfass gereift ist. Aber nur fünf Monate hat er dort gebraucht, bis seine Tannine ihre Kratzbürstigkeit verloren. Sanft wie ein Kätzchen schmiegen sie sich jetzt an den Gaumen. Auf der Zunge dominieren dunkle, herbe Früchte in Personalunion mit Pflaumenmus, Tabak, Kaffee und reinstem Kakao. Das Säuregerüst ist fein und ausgewogen. Kraftvoll und saftig dominiert der Tannat den Gaumen. Ebenso kraftvoll ist der Abgang dieses Weins, den die Bodega Narbona ‚Luz de Luna’, genannt hat.

Als ich den letzten Schluck davon trinke, steht der Mond hoch über den Weinfeldern. Die Reben glänzen in seinem Licht, der Sturm ist fast vergessen.

Lars BorchertText + Fotos: Lars Borchert

Über den Autor: Lars Borchert ist Journalist und schreibt seit einigen Jahren über Weine aus Ländern und Anbauregionen, die in Deutschland weitestgehend unbekannt sind. Diese Nische würdigt er nun mit seinem Webjournal Der Wein-Vagabund. Auf caiman.de wird er ab jetzt jeden Monat über unbekannte Weine aus der Iberischen Halbinsel und Lateinamerika berichten.