Mit Esel und Seilbahn nach Los Nevados

Unterwegs in Mérida, umgeben von den Gebirgen Sierra de la Culata und Sierra Nevada, vertieft in die Entdeckung der Stadt, der Plätze, der Kirchen, der gebrannten CD/DVD-Läden, der Saftstände und der Düfte nach frischgemahlenem Kaffee und Empanadas, blendet den Reisenden zwischen den Gebäuden oder den mit Bärten aus Moosgeflecht behangenen Bäumen der Parks hindurch der ewige Schnee des Berges.

Los Nevados, Venezula
Los Nevados: auf 3500 Metern Höhe in den Anden Venezuelas gelegen

Und dann scheint für einen Moment alles Leben und Treiben still zu stehen, denn der Pico Bolívar, mit 5007 Metern der höchste Berg Venezuelas, ruft.

Um dieser Aufforderung nachzukommen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man trekkt sechs Tage mit ausreichend Proviant und Zelt bepackt vom Tal La Mucuy den Lagunentrail hinauf und dann weiter von Gipfel zu Gipfel oder man löst wie im folgenden beschrieben ein Ticket für eines der Aushängeschilder Méridas, den Teleférico, die längste und höchste Seilbahn der Welt.

Früh am Morgen erfolgt der Start, denn ab mittags liebt es der Himmel, Méridas höchste Berge in Wolken zu hüllen, was den endlosen Blick in die Ferne verwehrt.

Die Seilbahnfahrt

Inmitten der Innenstadt Méridas, am Plaza las Heroinas, liegt die Talstation Las Barinitas auf 1577 Metern Höhe. Von hier aus startet die Seilbahn und erreicht nach 45 Minuten die Endstation Pico Espejo auf 4765 Metern. Die 12,5 Kilometer Wegstrecke legt man in Teilabschnitten zurück, wobei man vier mal die Gondel wechselt. Zwischen den Wechseln gibt es kleine Pausen zur Gewöhnung an die Höhe.

1. Abschnitt: Las Barinitas (1580m) nach La Montaña (2444m)

Schon nach wenigen Metern schwebt die Seilbahn über einem gewaltigen Abgrund, der den Río Chama beherbergt und die 500 Meter höher gelegene Ebene, auf der die Stadt Mérida liegt, von den Bergen der Sierra Nevada trennt. Mit jedem Meter, den sich die Gondel von Mérida entfernt, wachsen die Ausmaße der Stadt, die der Blick einfängt.

Die Landschaft ist zunächst geprägt von Zuckerrohr und Kaffee, geht aber bald über in einen dichten subtropischen Nebelwald. Dann nach 3450 Metern erreicht man die Station la Montaña.

2. Abschnitt: La Montaña nach La Aguada (3450 Meter)

Auf diesem Teilstück wechselt der Nebelwald zum Elfenwald. Auffallend sind Bäume (Cecropien) mit hellen, fast weißen Blättern, die aus dem durch Grüntöne bestimmten Wald hervorstechen. Ihre Blätter sind mit phosphathaltigen Härchen überzogen, die die Sonnenstrahlen reflektieren und so den Eindruck erwecken, weiß zu sein. Der Stamm dieser Bäume ist von innen hohl und in Kammern unterteilt, in denen eine Ameisenart lebt, die sich von den Härchen auf den Blättern des Baumes ernährt. Die Bäume profitieren ihrerseits von den Ameisen, denn sie halten Brüllaffen und Faultiere fern.

3. Abschnitt: La Aguada(3440m) nach Loma Redonda (4045 Meter)

Der Pico Bolívar rückt zunächst erstmals ins Blickfeld und dann immer näher und zeigt sodann seinen Gletscher Cascada del Sol.

Der Wald wird spärlicher. Bäume jedoch finden sich in den Anden im Gegensatz zu den Alpen (Baumgrenze bei 3000 Meter, Vegetationsgrenze bei 4600 Meter) auch noch über 4000 Metern. Bestimmt wird das Landschaftsbild aber von den prägenden Frailejones (Espiletien).

Die Station Loma Redonda ist Ausgangspunkt für die Wanderung nach Los Nevados. Doch zuvor geht es weiter den höchsten Gipfeln Venezuelas entgegen.

4. Abschnitt: Loma Redonda nach Pico Espejo (4765 Meter)

Der Höchste Punkt der Seilbahn ist erreicht und man steht zwei der drei höchsten Gipfel Auge in Auge gegenüber: Pico Humbold (4940 Meter) und Pico Banplant (4880 Meter), die den Blick auf den bislang treuen Begleiter Pico Bolívar verwehren.

Hier oben wacht die Statue der Jungfrau des Schnees. Vor allem in den Monaten April bis Mai und August bis November ist die Chance den Pico Espejo und der gegenüberliegenden Gipfel schneebedeckt anzutreffen, keine Seltenheit.

Vor allem in den Morgenstunden, wenn sich noch keine Wolke am Himmel zeigt, reicht der Blick im Süden über die gesamte Sierra Nevada bis ins Tiefland, den Llanos, im Norden über das gewaltige Massiv der Sierra la Culata und im Westen bis zu den kolumbianischen Anden, der Sierra del Cocuy. Vom Pico Espejo geht es in der Gondel zurück zur Station Loma Redonda.

Der Abstieg nach Los Nevados

Wenige Meter neben der Station steht ein zu allen Seiten offener Bretterverschlag, der Esel und Maultiere beherbergt, die man für 8-12 Euro samt Führer mieten kann.

Der indirekte Vorteil eines Begleittiers, selbst wenn man es nicht in Anspruch nimmt, ist der Draht zu Cristina, der Wirtin der vielleicht imposantesten Kneipe Venezuelas, die auf dem Weg eine halbe Stunde vor Los Nevados liegt.

Denn selbst, wenn man diese findet, müsste die Wirtin zunächst noch auf dem Felde aufgespürt werden, was wie in unserem Falle der Führer übernimmt.

An dem Bretterverschlag beginnt der Weg in Richtung des Andendorfes Los Nevados. Von der Station auf 4065 Metern Höhe führt der erste und gleichzeitig anstrengendste Abschnitt auf 4200 Meter zum Alto de la Cruz. Diesen Teilabschnitt sollte man unbedingt auch angehen, falls man später mit der Seilbahn wieder ins Tal nach Mérida zurückkehrt und nicht nach Los Nevados weiterläuft, da die Landschaft mit ihren niedrigen Bäumen und den großen Frailejones, die die Berghänge und die Täler bedecken, in das Reich der Phantasie entführt und die legendäre Caribay, Geist der wohlduftenden Andenvegetation und Tochter der Sonne und des Mondes, besonders diesen Landstrich mit ihrer großen Liebe bedacht hat.

Am Alto de la Cruz angekommen ist die Landschaft nicht minder reizvoll. Der Weg folgt zunächst leicht geschwungenen Serpentinen und führt dann einen wenig steilen Abhang hinunter.

Etwa eine Stunde später verläuft er entlang eines Hanges, der bald den Blick auf die zerklüftete Landschaft des Sierra Nevada Nationalparks frei gibt. Verstreut in den Tälern und den flachen Anhöhen findet sich eine Reihe von Höfen in der hier typischen Bauart, den Patio, den Garten um den das Haus herum gebaut ist, auf ein Minimum von einem bis wenige Quadratmeter reduziert.

Eine halbe Stunde vor der Ankunft in Los Nevados stößt man auf der rechten, der Hangseite auf ein fast unscheinbares Schild: “se vende refresco y chocolate” (hier erhalten Sie Erfrischungsgetränke und heißen Kakao).

Es dauert gut 10 Minuten bis die Wirtin Cristina vom Feld geholt ist und ihren kleinen Laden öffnet. Kaltes Bier sowie heißer Kakao und Kaffee werden im Hof verzehrt. Cristina selbst steht hinter einem geöffneten Fenster, das als Tresen fungiert und füllt den Raum dahinter zusammen mit einem Plakat, das Hugo Chávez abbildet, einer Kühltruhe und einem winzigen Regal, welches kleine Tüten mit Knabberkram, Zigaretten und natürlich Chimón, dem obligatorischen Kautabak, beherbergt.

Schon bald nachdem man die Freiluftbar wieder verlassen hat, erspäht man durch die sich ab und an liftenden Wolken zum ersten mal das Ziel der Tour, das traumhaft gelegene Andendorf Los Nevados.

Das überschaubare, vielleicht aus 60 Häusern bestehende, Dorf liegt an einem steilen Hang, wobei sich die zentrale Plaza Bolívar mit der schmucken Kirche gut 40 Meter unterhalb der oberen Häuser befindet. Gleich neben der Kirche steht die Posada Bella Vista, die ihren Namen Schöner Ausblick mehr als verdient.

Die Nacht auf 2900 Metern Höhe wird besonders in den Morgenstunden vor Sonnenaufgang kalt. Um sechs Uhr früh aber, wenn die Sonne das Dorf in gleißendes Licht hüllt, entfaltet diese auf einen Schlag ihre Wärme. Keine Wolke und und kein Nebel trüben dann den klaren Blick auf die Braun- und Weißtöne des Dorfes und die Oliv- und Grüntöne der Landschaft.

Nach einem ausgiebigen Frühstück erfolgt noch vormittags der Rückweg, für den es zwei Optionen gibt: Entweder per Begleittier auf dem Pfad des Vortages und anschließend mit der Seilbahn ins Tal oder per Jeep vier bis fünf Stunden einer sehr abenteuerlichen Schotterpiste folgend.