Guatemala – Journalistische Streifzüge / Mexiko – Entre Fronteras (03/2008)

Guatemala: Land des Grauens, Land der Hoffnung?
Das „Fest der Liebe“ ist seit zwei Monaten vorbei und in vielen Haushalten werden Weihnachtssterne Tische und Fensterbänke verschönert haben. Die meisten von ihnen stammen aus Zuchtbetrieben im Urwald Guatemalas. Von dort werden pro Jahr 300 Millionen Setzlinge in alle Welt verschifft, was das Land zum international größten Weihnachtsstern-Exporteur macht. Leider sind die Produktionsbedingungen ähnlich schlecht wie auf den Blumenplantagen in Kolumbien: die Arbeiterinnen kommen ungeschützt mit Pestiziden in Berührung, werden schlecht bezahlt und nicht sozialversichert. Die Plantagenbesitzer streichen satte Gewinne ein, die aber im Vergleich zum größten Patentrechteinhaber auf Weihnachtssternsorten – der US-Firma Paul Ecke Ranch – immer noch gering erscheinen. Diesen und viele weitere Skandale aus Guatemala beschreibt der Journalist Andreas Boueke in seinem Buch. Verantwortungsbewusste Verbraucher kaufen also kommendes Jahr Weihnachtssterne aus ökologischer Produktion. Aber wo findet man die? Sehr hilfreich sind daher am Ende eines jeden Kapitels die Kästen mit Informationen zu betreffenden Organisationen inkl. Link.

guatemala

Andreas Boueke
Guatemala. Journalistische Streifzüge
Horlemann Verlag, Bad Honnef 2006, 240 S. 12,90 Euro

In einem Land, in dem – zumindest aus Sicht der Bevölkerungsmehrheit – fast alles schief läuft, ist es schwer, sich als (normalerweise strikt objektiv berichtender) Journalist nicht zu solidarisieren. Und darum schreibt der mehrfach journalistisch ausgezeichnete Autor auch gleich im Vorwort, dass er angesichts von Gewalt, Rassismus, Umweltzerstörung etc. nicht in der Rolle des Beobachters verharren konnte und bevorzugt über die benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen berichtet. Interviews mit Betroffenen zwischen den einzelnen Reportagen geben den oft abstrakt klingenden Vorgängen und häufig so unglaublich brutalen und daher unglaublichen Ereignissen ein Gesicht und führen dem Leser die Auswirkungen von Krieg, Armut und Ausbeutung auf die Menschen direkt vor Augen.

Neben Reportagen über das gesellschaftliche Trauma der Straffreiheit für die Mörder des Bürgerkriegs berichtet der in Guatemala lebende Boueke über das ungerechte Gesundheitswesen, umweltzerstörende Garnelenfarmen, Jugendbanden, Drogenkuriere, die Lage der Homosexuellen uvm. Die schmutzigen Methoden der Ölindustrie, die auch in Guatemala nicht vor Mord zurückschreckt, hat Andreas Boueke zum Teil mit aufgedeckt, weswegen sich dieses Kapitel fast wie ein Krimi liest. Erstaunlicherweise blitzen immer wieder Funken der Hoffnung auf, vor allem dann, wenn die Interviewpartner in all dem Elend ihren Glauben an eine bessere Zukunft nicht verlieren.

Razteco oder basorolo?
Was sind raztecos, tomboys oder basorolos? Den Überblick über die verschiedenen Jugendkulturen bzw. -bewegungen in Mexiko zu wahren grenzt an Unmöglichkeit. Ein lesenswertes Buch über die verschiedenen Jugendszenen, ihre Geschichte, ihre Ansichten und ihre Stellung in der Gesellschaft haben Manfred Liebel und Gabriele Rohmann im Verlag des Berliner Archivs der Jugendkulturen herausgegeben. Mexikanische Autoren berichten über Pachucos, Cholos, Punks, Raver uva., ihr Verhältnis zum allgegenwärtigen Tod und zur nahen US-Grenze (die in Mexikos Gesellschaft insgesamt eine herausragende Rolle spielt), die Stadt-Land-Unterschiede der Szenen und die Rolle der Mädchen in ihnen, die – soviel sei verraten – nicht immer die devote Rolle der Frau in der mexikanischen Gesellschaft widerspiegelt. Viele Szenen übernehmen die Verhaltensweisen und Kennzeichen der Jugendszenen aus Europa und den USA, aber sie wandeln sie lokal ab, und gerade die raztecas, Jugendliche, die afro-antillanische (rastafaris) und indigene (aztecas) Musik und Elemente auf der Suche nach ihren Wurzeln in ihrer Kultur vermischen, sind eine besonders interessante „Spezies“.

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Manfred Liebel und Gabriele Rohmann (Hg.).
Entre fronteras. Grenzgänge. Jugendkulturen in Mexiko
Archiv der Jugendkulturen Verlag KG 2006, 144 S., 20 Euro

www.jugendkulturen.de

Das Buch schließt mit einem interessanten Bericht von Manfred Liebel über Barrio-Gangs in den USA. Und im anhängenden Glossar klärt sich dann auch schnell, was tomboys und basorolos sind!

Cover: amazon.de