Ein Schokoladen-Eis für Gabriel García Márquez

„Frei sein und unabhängig“
Ein Sammelband 26 journalistischer Arbeiten des Literatur-Nobelpreisträgers 

Frei sein und unabhängig: Journalistische Arbeiten 1974-1995, Bd. 4Wenn Gott ihm noch etwas Leben schenkte. „Wenn Gott mir noch etwas Leben schenkte, würde ich weniger schlafen und mehr träumen … ich würde umherwandern, wenn die anderen inne halten und aufwachen, wenn alle anderen schlafen. Ich würde zuhören, wenn andere reden. Und wie sehr würde ich ein gutes Schokoladen-Eis genießen!“
Vor mehr als einem Jahr hat einer der bedeutendsten lateinamerikanischen Schriftsteller an Krebs leidend sich aus dem öffentlichen Leben zurück gezogen und einen Abschiedsbrief geschrieben: Gabriel García Márquez versucht darin den Menschen zu vermitteln, was er machen würde, wenn Gott ihm noch etwas mehr Leben schenkte.

“Ich würde den Menschen beweisen, dass sie sich täuschen, wenn sie glauben, weniger leidenschaftlich zu sein, weil sie älter werden, ohne zu wissen, dass sie älter werden, weil sie aufhören, leidenschaftlich zu sein. Den Kindern würde ich Flügel schenken, und es ihnen dabei selbst überlassen, das Fliegen zu erlernen. Den Alten würde ich beibringen, dass der Tod nicht mit dem Alter sondern mit dem Vergessen kommt.“

Der Schriftsteller und Journalist wurde am 6. März 1927 in Aracataca, Kolumbien, geboren und war das älteste von 16 Kindern eines Telegrafisten. Die meisten seiner Leser kannten ihn über Jahrzehnte nur als Schriftsteller, obwohl er schon mit 19 Jahren seine Kariere als Journalist begann: 1946 war er zunächst Reporter und Herausgeber mehrerer Zeitungen in Cartagena, einer Stadt an der kolumbianischen Karibikküste. Später arbeitete er in Baranquilla (1948 – 1952) und dann in der Hauptstadt Bogotá (1952). Dort war er unter anderem Redakteur der bald verbotenen oppositionellen Zeitung „El Espectador“.

1957 bereiste er die DDR und die Sowjetunion. Von 1959 bis 1961 arbeitete er wieder in Bogotá – als Korrespondent für die kubanische Nachrichtenagentur „La Prensa Latina“, danach ging er in dieser Funktion nach New York.
Die sechziger und siebziger Jahre verbrachte Márquez im Exil in Mexiko (bis 1967) und Barcelona (bis 1975), da er der Verfolgung der von ihm kritisierten kolumbianischen Diktatoren Laureano Gómez und Gustavo Rojas Pinillo entgehen musste. 1967 schrieb er das weltberühmte Familienepos „Cien Años de Soledad“ (Hundert Jahre Einsamkeit). Ein Buch, dessen Inhalt stark von dem „Magischen Realismus“ geprägt ist, der die Elemente der Wirklichkeit mit der Phantasie verbindet. Márquez´ Verdienst ist es, die lateinamerikanische Variante dieses Literaturstils entscheidend beeinflusst zu haben. Die Auflage von „Hundert Jahre Einsamkeit“ stieg in den achtziger Jahren auf über zehn Millionen Exemplare an und 1982 erhielt der Kolumbianer den Nobelpreis für Literatur.

Die Welt dürfte überrascht gewesen sein, als der für seinen blumig ausgeschmückten Erzählstil bekannte Autor weltweit publizistische Unterstützung im Kampf gegen den US-Imperialismus einforderte. Ein anderer Márquez offenbarte sich seinen Lesern – der politisch engagierte Journalist. Anfang der achtziger Jahre vermittelte er in Kolumbien zwischen den linken Rebellen und der Regierung.

In einem Land, dass weltweit eine der höchsten Mordraten an Journalisten aufweist, war dies mehr als ein mutiger Schritt.

1984 erschienen in Deutschland zum ersten Mal einige seiner Pressearbeiten und im vergangenen Jahr brachte Márquez´ Kölner Verlag, Kiepenheuer & Witsch, ein Buch mit insgesamt 26 seiner Features und Reportagen heraus: „Frei sein und unabhängig“ ist der Name des Buches und enthält eine Artikel-Sammlung von 1974 bis 1995. „La Profesión más hermosa del Mundo“ ist der spanische Originaltitel des 367 Seiten zählenden Buches. In der ersten Arbeit, „Chile, der Putsch und die Gringos“ (1974), beschreibt er die Beteiligung des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA und einiger internationaler Großkonzerne an der Vorbereitung und Durchführung des Militärputsches in Chile. Darüber hinaus beschäftigen sich die Artikel u.a. mit dem kubanischen Sozialismus („Kuba kreuz und quer“ – 1975) und Che Guevaras achtmonatigem Versuch, die kubanische Revolution in Afrika zu wiederholen („Die Monate der Finsternis – Che im Kongo“- 1977). In „Mir fällt keine Überschrift ein“ (1977) schildert Márquez unter anderem die Flucht des venezolanischen Diktators Pérez Jiménez, der in letzter Minute sein startbereites Flugzeug ohne Gangway vorfindet. Der Autor beschreibt ihn als „Riesenbaby mit Hornbrille“, dass „unter großem Aufwand an einem Seil an Bord gehievt“ wurde, und dabei sein „Taschengeld“ am Boden vergaß: dreizehn Millionen Dollar in Scheinen.
Ähnlich wie in seinen Romanen brilliert der mittlerweile 74-jährige Márquez auch in diesen journalistischen Arbeiten als genauer Beobachter mit Liebe zum Detail, ohne dabei auf Atmosphäre und Stimmungen zu verzichten. Viel Kritik erntete er allerdings für seine Hymnen-gleichen Beiträge über den Sozialismus auf Kuba, die zum Teil der nötigen Objektivität einer unparteiischen Berichterstattung entbehren. Hier hat ihm retrospektiv betrachtet seine Freundschaft zu dem kubanischen Maximo Líder, Fidel Castro, beeinflusst. Doch bei all seinen Artikeln lässt sich der politisch und sozial engagierte Mensch entdecken, der sich nach einer gerechteren Welt mit mehr Liebe sehnt und den man auch in seinem Abschiedsbrief vom vergangenen Jahr wieder entdecken kann:

„Ich habe gelernt, dass ein Mensch nur dann das Recht hat, zu einem anderen hinab zu sehen, um ihm beim Aufstehen zu helfen.“

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