Das Flugzeug ist alt und klapprig. Zwölf Passagiere haben darin Platz. Wir fliegen durch graue, windige Wolken und landen nach 90 unruhigen Minuten auf einer steinigen Erdpiste inmitten des Regenwaldes. Dorcas wartet bereits und heißt uns ganz herzlich in der Moskitia willkommen. Sie wohnt in der kleinen Gemeinde Brus Laguna und wird unseren Aufenthalt koordinieren.
Die unerschlossene Dschungelregion liegt an Honduras östlicher Karibikküste und ist das größte zusammenhängende Regenwaldgebiet Mittelamerikas. An den Ufern der Flüsse und Lagunen leben Miskito-, Pech- und Tawahka-Indígenas vom Fischfang und der Landwirtschaft. Wegen der Abgeschiedenheit ihres Territoriums gelang es den Ureinwohnern, ihre eigene Sprache und Kultur bis heute zu bewahren. Man kann die Moskitia nur per Flugzeug oder Boot erreichen. Straßen gibt es nicht. Unterwegs ist man hier mit dem Kanu oder zu Fuß.
Weil Reisen in der Moskitia sehr aufwändig ist, haben wir uns für eine organisierte Tour entschieden und als „Reiseveranstalter“ La Ruta Moskitia gewählt (www.larutamoskitia.com). Das ist ein Zusammenschluss sechs indigener Gemeinden, die im Ökotourismus die Möglichkeit sehen, die schlechte finanzielle Situation ihrer Einwohner zu verbessern und dabei gleichzeitig die Umwelt zu schützen. Während unseres Fünf-Tage-Aufenthalts werden 38 Indígenas in verschiedenen Dörfern wegen uns beschäftigt sein. Das sind die Koordinatorin Dorcas, unser Führer Reyes, Hostalbesitzer, Köchinnen, Kanuchauffeure, Wanderführer und Tänzerinnen.
Die Tourkosten konnten wir übrigens nicht per Kreditkarte begleichen. Wir mussten das gesamte Geld in kleinen Scheinen besorgen und in Briefumschläge stecken, die wir vor Ort den Tourismus-Verantwortlichen auszuhändigen haben. So sehen wir, dass 100 Prozent unserer Ausgaben bei den Bewohnern der Moskitia ankommen. Und die erhalten problemlos ihr Geld, denn E-Banking, EC-Automaten und Girokonten gibt es hier nicht.
Pipantes werden die Holzkanus genannt, die den Transport in der Moskitia sicherstellen. Wir sitzen in einem motorbetriebenen Pipante, das Reyes geschickt durch die Stromschnellen des Río Plátano lenkt. Der Dschungelfluss entspringt im Innern der Moskitia und schlängelt sich durch den Regenwald bis zur Karibikküste. Das Gebiet wurde 1980 von der UNESCO zum Biosphärenreservat Río Plátano ernannt. In der Schutzzone gibt es 2.000 unterschiedliche Pflanzen-, 300 Vogel-, 200 Reptilien- und über 100 Säugetierarten. Der Weg führt uns den Río Plátano flussaufwärts ins 20 Kilometer entfernte Las Marias. Am Flussufer sehen wir einfache Hütten aus Bambus, in denen Miskito- und Pech-Familien leben. Auf kleinen Feldern bauen sie Yuca, Bananen, Mais und Bohnen an. Frauen waschen im Fluss die Wäsche. Kinder winken uns zu.
Auf dem Río Plátano herrscht reger Bootsverkehr, wobei die meisten Kanus mit Paddeln und langen Stäben vorwärts bewegt werden. Einen Motor und das nötige Benzin kann sich hier kaum jemand leisten, Muskelkraft dagegen ist kostenlos. Nach 6 Stunden motorisierter Pipantefahrt erreichen wir Las Marias. Rudernd und stochernd benötigt man für diese Strecke 2 Tage. In dem 800-Seelen-Dorf sind wir bei Doña Rutilia in einer palmblattbedeckten Hütte untergebracht, die zum Schutz vor Regen und Tieren auf Holzstelzen steht. Unser Zimmer ist einfach und winzig. Im Freien gibt es eine Latrine und Fässer mit Wasser für die Körperpflege. Wir ziehen allerdings ein erfrischendes Bad im Río Plátano vor, aus dem auch unser Abendessen stammt. Guapote ist ein schmackhafter Fisch, zu dem DoñaRutilia Reis und Kochbananen reicht. Ein gigantischer Sternenhimmel rundet das köstliche Mal ab. Wir gehen früh ins Bett, denn Strom gibt es in Las Marias nicht.
Am nächsten Tag heißt unsere Führerin Eva. Gemeinsam mit ihren zwei Helfern stochert sie uns mühsam in einem kleinen Einbaum auf dem Río Plátano weiter hinein ins Herz der Moskitia. Ohne Außenbordmotor hören wir viel besser die Geräusche des Regenwaldes: das laute Rufen des Oropendola, das Zirpen der Grillen und das Zwitschern unzähliger Vögel. Krokodile liegen träge im Fluss, während in den Wipfeln der Urwaldriesen Brüllaffen Fangen spielen. An einer unscheinbaren Stelle am Flussufer steigen wir aus dem Boot und unternehmen eine kleine Dschungelwanderung.
Eva zeigt uns Kräuter gegen Nierensteine und Menstruationsbeschwerden. Sie erklärt, wie man aus den Blättern der Tique-Palme Dächer knüpft und dass Mahagonibäume vom Aussterben bedroht sind. „Früher habe ich den Regenwald nicht so sehr geschätzt wie heute“, erzählt uns Eva nachdenklich. „Erst durch den Ökotourismus weiß ich, welcher Reichtum mich hier umgibt, und dass es die Natur wert ist, bewahrt zu werden.“ Tatsächlich ist das Biosphärenreservat Río Plátano bedroht. Wald wird zu Weideland gemacht, Tropenhölzer werden illegal gefällt, seltene Tiere gejagt und die Flüsse überfischt. In Las Marias fand ein Umdenken statt. Erst kürzlich haben sich die Bewohner gegen ein Abholzungsprojekt entschieden, um den Regenwald für Natur liebende Reisende zu erhalten. Auf dem Rückweg machen wir bei den Petroglyphen Walpaulban Sirpi halt, die sich inmitten des Río Plátano befinden. Die Felsritzungen sind über 1.000 Jahre alt. Mit etwas Fantasie erkennt man ein zweiköpfiges Krokodil, doch wer was damit ausdrücken wollte, weiß man nicht.
Die starke Strömung des Río Plátano treibt uns flussabwärts zurück nach Las Marias. Endlich haben wir Zeit, uns das Dorf genauer anzuschauen. Es gibt fünf Kirchen, zwei Schulen und eine Menge Kinder, die fotografiert werden wollen. Wir sind umringt von süßen Mädchen und Jungen, die nicht genug davon bekommen können, ihr Aussehen auf den Monitoren unserer Kameras zu diskutieren.
Nach einer traumlosen Nacht treten wir ins Freie und atmen tief die frische Luft des Regenwaldes ein. Reyes wünscht uns einen guten Morgen und zeigt auf eine Familie, die traurig im Schatten unserer Unterkunft sitzt. Auf dem Schoß der Mutter liegt kurzatmig der fünfjährige Sohn. Sein Bauch ist aufgebläht und blau. In Las Marias gibt es keinen Arzt, der ihm helfen könnte. Mangels öffentlichen Bootsverkehrs sucht die Familie nun eine Mitfahrgelegenheit Richtung Karibik. Selbstverständlich nehmen wir die drei in unserem Kanu mit. Mutter und Sohn müssen von Brus Laguna ins Krankenhaus nach Puerto Lempira fliegen. Geld für die Flugtickets hat die Familie eigentlich nicht. Doch unser „Reiseveranstalter“ La Ruta Moskitia hat für solche Notfälle einen Fond eingerichtet, aus dem auch Wiederaufforstungs- und Bildungsprojekte finanziert werden. An der Laguna de Brus können wir der Familie nur noch alles Gute wünschen. Unsere Wege trennen sich, denn wir fahren weiter nach Raista.
Zwischen Karibik und Laguna de Ibans wird der kleine Ort von Miskito-Indígenas bewohnt. Hier ist unsere Unterkunft luxuriöser als in Las Marias. Es gibt Hängematten zum Relaxen und eine große Wohnküche, in der Doña Elma Regie führt. Bei unserem Dorfrundgang lernen wir Pedro kennen. Barfuß klettert er auf eine Palme und erntet für uns Kokosnüsse. Flink öffnet er sie mit seiner Machete und wir kommen so in den Genuss leckeren Kokoswassers. Den Sonnenuntergang genießen wir am Strand. Langsam färbt sich der Himmel gelb, orange, rosa, violett, während Bauern von der Arbeit auf den Feldern im feinen Sand nach Hause kehren. Auch wir müssen zurück in unser Hostal, denn es wartet ein kulturelles Event auf uns.
Mercedes und ihre drei Freundinnen tragen lange Röcke und schicke Blusen. Sie singen zu Gitarrenmusik, wiegen die Hüften und drehen sich im Kreis. Uns werden Weihnachts-, Neujahrs- und Erntetänze vorgeführt, denn zu diesen Ereignissen feiern die Miskito-Indígenas ihre Feste. Die sollen sehr ausgelassen sein und bis tief in die Nacht dauern. Heute geht es nicht so lange, wenngleich sich viele Dorfbewohner versammelt haben, um uns ihre Kultur näher zu bringen. Morgen früh müssen alle wieder ihren täglichen Pflichten nachgehen und wir zurück nach La Ceiba fliegen. In ein paar Tagen werden andere Touristen mit La Ruta Moskitia hierher kommen, um die sich dann andere Moskitia-Bewohner kümmern werden. Reihum sind mal die einen, mal die anderen dran. Denn Ziel des La-Ruta-Moskitia-Projektes ist es, dass in den sechs beteiligten Gemeinden alle Familien gleichermaßen vom Ökotourismus profitieren.
Fotos: Jutta Ulmer