Die Mina Marlin im Norden des Landes

05/2011 – Der Goldpreis steigt unaufhörlich und erreicht ständig neue Rekordmarken… und Goldminen sind heute so profitabel wie selten zuvor. Viele der Goldminen liegen in den ärmsten Ländern der Welt. Zum Beispiel in Guatemala. Doch von diesem Reichtum haben die normalen Menschen nichts, im Gegenteil, er macht sie noch ärmer. In ihrem Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung steht den Anwohnern der Mina Marlin im Norden Guatemalas nur der Bischof zur Seite.

Alle sechs Stunden – um Mitternacht, morgens um sechs, mittags und am frühen Abend – wird in der Goldmine Marlin im Norden Guatemalas gesprengt. Und kaum sind die Sprengungen vorbei, machen sich die Arbeiter mit schweren Baumaschinen daran, das Gestein abzutragen und auf Lastenwagen zu verladen. In dem riesigen Tagebau sehen selbst die größten Bagger wie Spielzeuge aus.

In Sichtweite der Mine wohnt Crisanta Hernandez Peréz. Jede Wand ihres sehr kleinen Hauses ist von Rissen durchzogen. Manche sind haarfein – andere klaffen mehr als fünf Zentimeter weit auseinander. „Seit dem Jahr, in dem das Minenunternehmen mit den Sprengungen anfing, entdecken wir ständig neue Risse in den Wänden. Am Anfang sind sie ganz klein, aber mit der Zeit werden sie immer größer. Immer dann, wenn ich mir diese Risse anschaue, habe ich Angst, dass das Haus eines Tages über uns zusammen brechen wird“, meint Crisanta.

Crisanta Hernandez Peréz ist 29 Jahre alt und stillt während des Interviews das jüngste ihrer drei Kinder. Ihr kleines Häuschen ist für guatemaltekische Verhältnisse fast großzügig: es hat zwei Zimmer, der Fußboden ist gefliest und es gibt Fenster aus Glas. Doch inzwischen scheint es aufgrund der Einsturzgefahr lebensgefährlich zu sein, hier zu wohnen. Über einhundert Häuser rund um die Mine weisen Risse auf. Aber Crisanta Hernandez Peréz kann nicht einfach umziehen. Alle ihre Ersparnisse stecken in dem Haus und Geld ist ohnehin knapp geworden, seitdem hier Gold abgebaut wird. „Sie haben mir mein Land weggenommen. Ich hatte ein Feld, das wollten sie kaufen. Ich sagte ihnen, ich würde nicht verkaufen. Aber als ich eines Tages zu meinem Stück Land ging, standen dort Maschinen, die eine Straße anlegten. Ich hatte auf diesem Feld Mais und Bohnen angebaut und diese Lebensmittel fehlen uns jetzt“, so Crisanta.

Die Mina Marlin ist eine offene Mine, ein Tagebau. Das bedeutet, dass Stück für Stück Gestein abgetragen wird. Mühlen zerkleinern dieses zu Pulver und anschließend werden in gigantisch großen Tanks mit Hilfe von Wasser und Quecksilber die Edelmetalle herausgelöst. Der Wasserverbrauch ist enorm. „Es gibt Brunnen, die komplett ausgetrocknet sind, da ist nicht mal mehr ein Tropfen Wasser drin. Bevor die Mine kam, gab es keine Probleme mit den Brunnen. Und wir haben plötzlich viele Kinder mit Hautausschlägen“, berichtet Crisanta.

2005 wurde die Mina Marlin eröffnet. Sie wird von der kanadischen Minengesellschaft Goldcorp betrieben. Crisanta Hernandez Peréz und tausende andere Anwohner kämpfen seit Jahren gegen das Unternehmen und die Betreibung der Mine. Doch ihr Protest findet wenig Gehör. Politik, Polizei, Behörden, Justiz – keine dieser Institutionen zeigt Interesse oder schützt die Anwohner. In ihrer Not wandten sich die Menschen an die Kirche und so hat sich rund um Bischof Alvaro Leonel Ramazzini Imeri in den letzten Jahren eine Widerstandsbewegung gebildet. „Wir müssen unsere Rechte verteidigen! Ohne dabei Gewalt anzuwenden – aber wir müssen sie verteidigen. Eure Rechte, die Rechte Eurer Kinder und die Eurer Enkel.“

Monsenor Ramazzini ermutigt die Anwohner der Mine in öffentlichen Veranstaltungen zum Widerstand. Er hat sich in der Tradition der lateinamerikanischen Befreiungstheologie auf die Seite der Bevölkerung gestellt: „Ich sage klar und deutlich, dass wir den Bergbau so nicht akzeptieren können, denn unsere Bergbaugesetze führen dazu, dass er dem Land und den Menschen schadet. Deshalb rufe ich die Menschen zum friedlichen Widerstand auf und sage ihnen, „verkauft den Minenbetreibern Euer Land nicht“. Denn wenn ihnen keiner sein Land verkauft, dann haben sie keine Chance sich festzusetzen.“

Ursprünglich stammt Alvaro Leonel Ramazzini Imeri aus Italien. Er ist 63 Jahre alt, ein rundlicher und freundlicher Mann, der Autorität ausstrahlt. Er sitzt in seinem einfach eingerichteten Arbeitszimmer und im Hintergrund krächzt sein Papagei. Als Bischof ist er für die Diözese San Marcos zuständig, in der die Mina Marlin liegt. Sein Engagement in Sache Goldmine werde, so hört man hier, vom Vatikan nicht gerade gern gesehen. Aber darüber spricht er nicht. Bischof Ramazzini strebt eine gesetzliche Änderung für den Betrieb von Minen an. „Wir müssen für ein neues Bergbaurecht kämpfen. Eines, das die Umwelt schützt. Und das Problem des Wasserverbrauchs muss geklärt werden. Die Bergbauindustrie verbraucht so viel Wasser, dass der Bevölkerung nichts mehr bleibt. Das ist ungerecht. Zumindest müssen die Minenbetreiber das Wasser, das sie verbrauchen, bezahlen.“

Im Kampf gegen die Mine hat der Bischof in der Hauptstadt zahllose Vorschläge zu Gesetzesänderungen gemacht und versucht, mit Hilfe seiner internationalen Kirchen-Kontakte Druck auf die Regierung Guatemalas auszuüben. „Das wichtigste ist, dass wir die Verschmutzung des Wassers wissenschaftlich nachweisen. Wenn uns das gelingt, dann muss das Umweltministerium einfach etwas unternehmen, denn dann ist es nicht mehr zu leugnen, dass die Bevölkerung gefährdet wird.“

Um diesen Nachweis führen zu können, schuf Monsenor Ramazzini 2007 die Pastorale Kommission für Frieden und Umwelt, kurz COPAE. Sie hat in der bischöflichen Verwaltung ein eigenes Büro – und ein eigenes Labor. Roberto Marani leitet die Pastorale Kommission. Vor ihm liegt ein dicker Stapel Papier mit den Ergebnissen der letzten Wasseranalysen. „Seit drei Jahren untersuchen wir das Wasser rund um die Mine. Wir finden darin Schwermetalle wie Quecksilber, Arsen und Blei. Der Fluss wird zur Bewässerung der Felder und zum Tränken des Viehs verwendet. Die Menschen baden darin und nutzen es als Trinkwasser. Auf Dauer verursachen die Schwermetalle Krebs.“

Der giftige Abraum der Mina Marlin verwandelt die einst grünen Hügel rundherum immer mehr in eine Mondlandschaft. Mit dem Regenwasser sickern die Giftstoffe in die Bäche und ins Grundwasser. Es kommt auch vor, dass die giftigen Abwässer der Mine direkt in den Fluss geleitet werden. „Als es jetzt so viel geregnet hat, da ließ die Minengesellschaft 400 Kubikmeter verseuchtes Wasser aus dem Sammelbecken in den Fluss ab. Die Begründung dafür war, dass sonst die Gefahr bestanden hätte, dass der Damm bricht“, sagt Roberto Marani.

Natürlich hätten wir über all die Vorwürfe auch gerne mit Vertretern der Minengesellschaft Goldcorp gesprochen. Doch das Unternehmen reagierte nicht auf Interviewanfragen eines deutschen Radiosenders. So bleibt nur der Blick auf die Internetseite der Minengesellschaft, auf der – wenig überraschend – betont wird, wie sozial und ökologisch verantwortungsbewusst die Minengesellschaft sei.

In Deutschland wären Umwelt- und Gesundheitsbehörden längst eingeschritten. Aber in Guatemala ist die katholische Kirche die einzige Institution, die sich um die Belange der Bevölkerung kümmert. Guatemala mag zwar offiziell eine Demokratie sein, doch tatsächlich wird das Land von einer Oligarchie, bestehend aus acht Familien, regiert. Sie machen die Gesetze und verkaufen die Bergbaukonzessionen an ausländische Investoren. Dabei vereinbaren sie, dass Guatemala gerade einmal ein Prozent der Gewinne bekommt. Zum Vergleich: In Kolumbien müssen ausländische Minengesellschaften 12 Prozent abführen. Und die Oligarchie in Guatemala-City hält schützend ihre Hand über das kanadische Unternehmen.

„Sie machen mit den Leuten, was sie wollen. Es gibt keinen Staat, der klare Regeln zum Schutz der Bevölkerung aufstellt. Die Gesetzgebung, die Justiz und die Polizei, sie alle schützen die Interessen der Minengesellschaft. Sie hat das Geld und sie bestimmt. Deshalb ist der Widerstand der Menschen hier das Einzige, was das Unternehmen stoppen könnte“, so Roberto Marani.

Widerstand gegen ein mächtiges, vom Staat unterstütztes Unternehmen zu leisten, das ist eine gefährliche Angelegenheit. Roberto Marani hat gerade erst am Tag vor dem Interview mit der deutschen Radioreporterin eine Morddrohung gegen seine Frau und seine Kinder erhalten und auch für Bischof Ramazzini sind solche Drohungen nichts Neues. Im Departamento San Marcos sind in den letzten Jahren eine Reihe Anführer der Widerstandsbewegung unter ungeklärten Umständen getötet worden. Einer davon war Findao Peréz, der Bruder von Crisanta Hernandaez Peréz. Er hatte eine Entschädigung für sein unbewohnbar gewordenes Haus verlangt.

„Nur weil wir unsere Rechte verteidigen, tun sie uns das an. Man hat uns, den Schwestern und der Frau von Finado gesagt, wir würden ebenfalls umgebracht, wenn wir nicht ein Papier unterschrieben, in dem wir auf eine Entschädigung für unsere Häuser verzichteten. Wir haben unterschrieben“, erklärt Crisanta. Keiner der ungeklärten Morde sei je richtig untersucht worden, so heißt es bei der COPAE. Und kein einziger dieser Fälle landete vor Gericht.

Alleine im Jahr 2008 hat Goldcorp laut eigenem Jahresbericht mit der Mina Marlin einen Gewinn von 100 Millionen US Dollar erzielt. Die Entschädigung, die Crisanta für ihr enteignetes Land bekam, war hingegen sehr gering. Das Feld, das sie dafür kaufen konnte, hat nur ein Siebtel der Größe ihres alten Ackers. Und sie ahnt, dass noch viel mehr Probleme und auch Kosten auf sie zukommen werden: „Vielleicht gibt es hier in einigen Jahren wegen der Umweltverschmutzung schwere Krankheiten. Aber wir sind sehr arm. Woher werden wir das Geld bekommen, das wir brauchen um uns behandeln zu lassen? Bei einer Krankheit wie Grippe bekommen wir das Geld für die Medikamente irgendwie zusammen. Aber bei einer schweren Krankheit, bei der die Medikamente sehr teuer sind? Das Geld haben wir einfach nicht!“

So wird Crisanta, die direkt neben einer Goldmine wohnt, immer mehr in die Armut getrieben – obwohl – oder gerade weil- sich der Goldpreis in den letzten 10 Jahren mehr als verfünffacht hat. Die kanadische Minengesellschaft Goldcorp betreibt überall auf der Welt Gold- und Silberminen und ist ein hochprofitables Unternehmen. Für Investoren sind die Aktien der Gesellschaft eine sehr sehr gute Anlage.

„Goldcorp arbeitet mit Geldern von internationalen Anlegern. Das Geld, das Menschen in Industrieländern fürs Alter zurück legen, wird von den Fonds in die Unternehmen investiert, die die höchsten Gewinne machen – wie die Minenunternehmen. Auch die Europäer machen Gewinne mit dem Leiden der Menschen hier“, so Roberto Marani.

Die Proteste der Bevölkerung und die Öffentlichkeitsarbeit der Diözese haben immerhin eines erreicht: Die Anleger werden kritischer. Der Schwedische Pensionsfond hat im vergangenen Jahr von Goldcorp die Einhaltung der Menschenrechte gefordert. Die CAO, eine Unterorganisation der Weltbank, bei der sich kritische Anleger informieren können, bestätigt die Menschenrechtsverletzungen. Öffentlichkeit, das weiß Crisanta, ist ihre einzige Chance, Gerechtigkeit zu erlangen. Deshalb hat sie trotz aller Einschüchterungsversuche dieses Interview gegeben: „Helfen Sie uns! Denn das, was ich sage, ist die Wahrheit. Wir können es einfach nicht mehr ertragen, dass die Minengesellschaft hier ist. Es ist so traurig, was hier mit uns passiert. Alles, was wir wollen, ist, dass die Mine schließt, damit wir wieder in Frieden mit unseren Kindern und unseren Familien leben können, so wie es vorher war.“