Cumbia vs. Chicha (03/2011)

Diverse
sound)))trip Colombia
Reise Know-How 029

Die international bekannten Stars Shakira und Juanes bilden nur die Spitze einer breiten und quirligen Musikszene in Kolumbien. Hier fast ausschließlich mit Bürgerkrieg und Drogenanbau in Zusammenhang gebracht, verlieren die Menschen dort – trotz dieser Bedrohungen – nicht ihre Lebensfreude. Und dazu gehört an vorderster Stelle die Musik. Die ist in Kolumbien mit seiner rund 1.600 Kilometer langen Karibikküste stark von den dort lebenden Nachfahren der afrikanischen Sklaven geprägt. Die afro-kolumbianische Kultur hat viele Folklorestile wie cumbia oder champeta hervorgebracht und ist über ihre Rhythmik auch in die modernen, urbanen Musikstile eingeflossen.

Und so ist auf „sound)))trip Colombia“ ein Großteil der Titel davon beeinflusst. Das gilt für die Musik und Texte von „Bomba Estéreo“, die traditionelle Rhythmen mit Rapgesang und Elektronik mischen, beide Titel sehr tanzbar, aber musikalisch eher unspannend. Humberto Pernett hingegen mixt die Folklore und sein Spiel auf der gaita (traditionelle Flöte) wesentlich intelligenter mit elektronischen Klängen und seinem Gesang. Auch das Kollektiv „Systema Solar“ geht diesen Weg und gewichtet seinen Mix zugunsten der Folklore.

Den Sprung nach Afrika bzw. in die afrikanisch beeinflusste Karibik vollzieht die Sängerin Erika Muñoz, deren beschwingende Kompositionen stark vom soukous (aus dem Kongo) und vom zouk (Martinique) beeinflusst sind. Mit „En Brazos“ von Alfonso Espriellas verlassen wir kurz die verschiedenen Spielarten der „modernen Folklore“ und tauchen in die Welt der Rockmusik ein, die in Kolumbien viele Anhänger hat, wie das seit 1994 bestehende, größte Festival Lateinamerikas „Rock al parque“ belegt. Espriellas Musik ist eine interessante Mischung aus Anleihen von „Nirvana“, „Heroes del Silencio“ und einer meistens sanften Stimme à la Leon Gieco. Die Rapper von „Choc Quib Town“ mischen die Musik ihrer Herkunftsregion – die afro-kolumbianische Pazifikküste – mit den harten Beats des Hiphop, während die siebenköpfige Truppe „La Manigua“ beweist, dass sich auch Funk und Soul mit den kolumbianischen Rhythmen gut vertragen. Mit „Con Las Unas“ ist auch eine Gruppe aus der riesigen Salsa-Szene des Landes vertreten, die so berühmte Interpreten wie „Grupo Niche“ oder Joe Arroyo hervorgebracht hat. „Cimarrón“ entführen uns in die staubigen Ebenen der Llanos, von wo sich der traditionelle Joropo über Venezuela und Kolumbien ausgebreitet hat. Eine sehr lebhafte Musik, mit Harfe, cuatro (kleine Gitarre) und verschiedenen Perkussionsinstrumenten gespielt, hier angereichert um einen dezenten elektrischen Bass. Dieses in keinster Weise verstaubt klingende Instrumentalstück ist ein Höhepunkt der Compilation. Mit „Totó La Momposina“ sind wir dann in der ursprünglichen afro-kolumbianischen Kultur angekommen, die hier nicht nur in der Auswahl der Instrumente durchscheint, sondern auch in der Verehrung der afro-lateinamerikanischen Götter wie Chango oder Yemaya. Tini Martinez, der diese CD beschließt, spielt zwar auch Folklore, fällt aber gänzlich aus dem Rahmen dieser Sammlung: mit seiner rauen Stimme singt der Guajiro-Indianer wie ein alter Bob Dylan zur Gitarre seine überlieferten, englischen Texte aus der Karibik, die vom Fischen, von Frauen und dem harten Alltag handeln. Einfach wunderbar!

sound)))trip Colombia“ bietet – für ein einzelnes Album – eine repräsentative Darstellung der aktuellen Musikszene Kolumbiens, die Laune macht und auch auf Tanzparties ihren Einsatz finden wird.

Diverse
The Roots of Chicha 2. Psychedelic Cumbias from Peru
Barbès / Crammed Discs 73

Die kolumbianische cumbia breitet sich seit Jahrzehnten erfolgreich über den lateinamerikanischen Kontinent aus. Lokal entstanden und entstehen Varianten wie die cumbia villera in Argentinien oder die cumbia andina in den Andenländern. Peru erreichte die cumbia in den 1950er Jahren und es entwickelte sich daraus in den 60ern die dort chicha genannte Variante der cumbia andina als Ausdrucksform der damals am schnellsten wachsenden Bevölkerungsgruppe: den Jugendlichen der zweiten Generation andiner Emigranten in den Vorstädten von Lima, die der Öl-Boom in die Stadt gelockt hatte.

Die chicha, eigentlich die Bezeichnung für Maisbier, auf die Musik transferiert durch einen Hit mit dem Titel „La chichera” (die chicha-Verkäuferin), entstand aus der Vermischung einer urbanen Form der kolumbianischen cumbia mit dem huayno, einem andinen Gesangsgenre, sowie mit Einflüssen aus dem angelsächsischen Surf-Rock, vor allem durch die elektrischen Instrumente, (Stratocaster)-Gitarre und Farfisa-Orgel, die in dieser Zeit erschwinglich wurden und vielen Stücken einen psychedelischen Touch verleihen.

Die chicha diente der Identitätsfindung einer urbanen Jugend, die größtenteils der Unterschicht angehörte. Die Texte handeln meistens von Liebe, aber auch von schicht-spezifischen sozialen Phänomenen wie Armut oder schlecht bezahlter Arbeit (z.B. in „Ambulante soy”, also Straßenverkäufer). Von der konservativen Oberschicht wurde diese Musik als andin und textlich vulgär abgelehnt, von den linken Intellektuellen als anti-fortschrittlich und zu wenig revolutionär verurteilt. Darum blieb diese Musik lange Zeit ein Randphänomen. Erst ab Mitte der 80er wurde die chicha mit großem Erfolg in die Mainstream-Kultur des Landes integriert.

Dem französischen Musiker und Barbesitzer aus Brooklyn, Oliver Conan, der die chicha bei einem Trip durch Peru entdeckte, verdanken wir nun die Erschließung der Anfänge dieser Musik. Er hat sich durch Archive und Privatsammlungen gekämpft und eine große Zahl von Chicha-Ohrwürmern gefunden, die er auf seinem Label auf zwei Compilations veröffentlicht hat. Auf diesem, zweiten, Teil finden sich die eher raren und unbekannten Aufnahmen von damaligen Stars wie „Los Shapis“, „Los Walkers“ oder „Los Destellos“, die 1968 als eine der ersten Bands einen Moog-Synthesizer für ihre Musik nutzten. „Los Walkers“ integrierten bald auch kubanische Rhythmen in die Stücke oder spielten diese im chicha-Sound (hier z.B. zu hören beim Titel „Siboney“ von Ernesto Lecuona).

„El diablo“ von der Band „Compay Quinto“ klingt wie ein Titel der US-Instrumental-Band „The Ventures“ mit Gesang und „Manzanita y su Conjunto“ kombinieren den psychedelischen Gitarrensound des frühen Carlos Santana mit den Surf-Sounds von Duane Eddy. So reiht sich eine Überraschung an die nächste und ganz nebenher erfährt man, dass die wohl berühmteste Cumbia, „La Colegiala“, eigentlich eine chicha-Gitarrennummer von Walter León und seinen „Los Ilusionistas“ ist.

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