Auf dem Jakobsweg mit Don Carmelo und Cayetana (13)

Mittwoch, 30. August 2012. Beim Abstieg von Matagrande nach Burgos begleitet uns der kalte Wind, der von den Montes de Oca herunter weht. Auf dem Weg zur zweitgrößten Stadt am Jakobsweg verstehen wir, warum man Burgos „die Kalte“ (la Fría) nennt. Denn obwohl es noch Hochsommer ist, waren wir nahe dran, unsere einzige lange Hose auszupacken.

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Der Einzug in Burgos verlangt dem Pilger einiges an Geduld ab, der Weg durch das hässliche Industriegebiet im Osten scheint kein Ende zu nehmen. „Hier ist aber echt Schluss mit Romantik!“, konstatiert Cayetana und beschleunigt ungeduldig ihre Schritte. Moralische Tiefpunkte unseres Marsches durch Ost-Burgos sind eine lange Etappe entlang der Einzäunung des Flughafengeländes und die Überquerung einer Autobahn unter beträchtlicher Lebensgefahr. Dabei stürzt Cayetana mutig voran und vertraut auf ihren Slogan „Für Pilger muss man bremsen!“ Die Irrwege durch graue Industrievororte sind ein endloser Alptraum. Doch am Ende werden wir uns zur Belohnung wiederfinden in einer grünen Ufer-Oase inmitten der Altstadt und in einem steinernen Sternentraum, denn Burgos schenkt seinen Besuchern nicht weniger als die schönste Kathedrale der Welt.

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„Naja, geschenkt ist das nicht“, beklagt sich Cayetana, nachdem sie das stolze Eintrittsgeld von 7 Euro bezahlt hat. Aber was sind schon 7 Euro, wenn einem dafür das Siebte Weltwunder geboten wird! Cayetana und ich haben schon viele schöne Kathedralen bestaunt – in Spanien vor allem die von Sevilla und Toledo, im Rest der Welt haben uns besonders die von Siena und Straßburg beeindruckt. Aber in der Kathedrale Santa María von Burgos verbringen wir fast einen halben Tag und fallen aus der Zeit, verlieren uns in einem Schwindel erregenden Strudel heiliger Kunstwerke, die von allen Seiten auf unsere überforderten Augen einströmen.

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Begonnen wurde mit dem Bau der drittgrößten Kathedrale Spaniens 1221 vom wohl aus Frankreich stammenden Juan de Enrique, aber vollendet wurde sie im 15. Jahrhundert von einer Kölner Architektenfamilie (Johann: gest. 1480, seinem Sohn Simon: gest. 1515 und seinem Enkel Franz von Köln: 1470 – 1542) sowie von ihrem Schüler Juan Vallejo. Schon von weitem beeindrucken die beiden kunstvoll durchbrochenen Turmpyramiden, die nicht zufällig an den Kölner Dom erinnern und weniger an französische Kathedralen. Entworfen und gebaut wurden sie von Johann von Köln (Juan de Colonia) und als sie um 1450 vollendet wurden, waren sie mit 85 Metern die höchsten Türme in Kastilien, wurden allerdings später von den Kathedralen Toledos (98 Meter) und Salamancas (110 Meter) übertroffen. Wunderbar die zentrale Fensterrose der Frontfassade mit achteckigem Stern. Darüber grüßt in luftiger Höhe die Galerie der Könige mit acht Statuen kastilischer Herrscher.

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Wir steigen die Treppe zum Südportal empor und schreiten unter den Symbolfiguren der vier Evangelisten hinein. Sofort werden wir in dieses wunderbare Bauwerk hinein gesogen und wandeln wie im Traum durch den heiligen Kunsttempel. Burgos ist barocke Gotik, effektvoll und prächtig, voll wuchernder architektonischer Phantasie, eine sakrale Bühne für das ganz große Kino: den Blick in die Ewigkeit.

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Unsere Schritte werden mit magischer Anziehungskraft ins Zentrum gelenkt, bis der Blick nach oben dirigiert wird, um sich an einem der größten Geniestreiche der Weltarchitektur zu ergötzen. Das transparente (!), 59 Meter hohe Kuppelgewölbe in Form eines gigantischen Sterns, durch den man in den Himmel blickt, wurde von Johann und Simon von Köln entworfen und zwischen 1440 und 1470 vollendet.

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Allerdings stürzte die filigrane Kuppel sieben Jahrzehnte später ein und wurde von Juan de Vallejo, einem Schüler der Architektendynastie aus Köln, um 1567 mit noch größerer Pracht rekonstruiert. Es war eine innovative Meisterleistung, vor 500 Jahren mit einfachstem Werkzeug eine solch turmhohe Kuppel erstmals mit transparentem Gewölbe und gläsernem Dach zu errichten und damit die Illusion eines schwebenden Sterns aus Licht zu erzeugen, der als Mittelpunkt diesen riesigen Tempel beherrscht. Diese Sternenkuppel macht die Kathedrale von Burgos einzigartig und unvergleichlich.

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Als Gotteshaus im Zentrum des Jakobsweges ist sie ein gesamteuropäisches Gesamtkunstwerk, an dem Franzosen, Deutsche, Spanier, Flamen und wahrscheinlich sogar ein paar maurische Baumeister drei Jahrhunderte lang gebaut haben. Der achtstrahlige Stern der Zentralkuppel ist ein klassisch islamisches Motiv: ein aus zwei Quadraten geformter achteckiger Stern, er wird auch „Siegel Salomos“ (arabisch „Khatem Slimani“) genannt und symbolisiert die Vollkommenheit. Nicht nur die Grundform, auch die fein ziselierte Ausgestaltung des Kuppelsterns ist ohne arabischen Einfluss nicht denkbar, denn diese Fülle von ineinander verschlungenen geometrischen Mustern ist typisch für die islamische Kunst und erinnert an die Gewölbe der Sala de los Abencerrages in der Alhambra.

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Wie hypnotisiert starrt Cayetana minutenlang in diesen flirrenden, an vielen Stellen vergoldeten Himmelsstern und kommentiert endlich, dass er aussehe wie „christliches Mandala“, ein Sternen-Traumbild, einladend zur Meditation. Ich bin erstaunt, wie es ihr gelingt, in wenigen Worten den Charakter dieses Architekturwunders so passend zu definieren.

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Dann stehen wir staunend vor dem ca. 20 Meter hohen Hauptaltar, einem Meisterwerk der Renaissance von Rodrigo und Martin de la Haya, begonnen um 1562. Viele andere Kathedralen träumen davon, nur einen der spektakulären Hochaltäre von Burgos in ihren Mauern präsentieren zu können. Die Kathedrale von Burgos hat mindestens ein Dutzend Hochaltäre von 15 – 20 Metern Höhe und edelster künstlerischer Gestaltung – von (spät)gotisch über Renaissance bis zum Barock.

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Zu den älteren gehört der riesige „Wurzel Jesse“ Hochaltar des genialen Gil de Siloe (gest. 1501): die heilige Anna und der heilige Joachim umarmen sich inmitten eines turmhohen gotischen Wurzelgeflechts, das dem Himmel entgegen strebt. In der von Simon von Köln erbauten Capilla del Condestable, ebenfalls überwölbt von einer achteckigen, im Zentrum transparenten Kuppel, befindet sich der Renaissance-Altar seines Sohnes Diego de Siloe (1495 – 1563), entstanden unter Mitwirkung des genialen Franzosen Felipe Bigarny (1498 – 1543), der wie so viele als jugendlicher Jakobspilger nach Kastilien gekommen war und einfach in Burgos blieb.

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Ein Altar als Theaterbühne, die im Zentrum Maria präsentiert, wie sie in einer ungeheuer dynamischen Szene mit flatternden Gewändern und dramatischer Gestik das Jesuskind an Josef zur Präsentation im Tempel überreicht. Die drei Altäre der Capilla del Condestable gehören zum Besten, was Bildhauerkunst in Spanien je geschaffen hat.

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Cayetana hat es nicht so lange vor dem Hauptaltar ausgehalten. Ich finde sie auf dem Boden hockend, Auge in Auge mit einem kleinen Engel, der am Fuß einer Säule mit melancholischem Blick einen Totenkopf in Händen hält. Ich knie mich neben sie und lege den Arm um meine erstaunlich geduldige Begleiterin. Sie blickt mich an, glücklich, aber auch müde von all der Großartigkeit ringsumher und sagt dann leise: „Ich kann nicht mehr. Wenn wir jetzt nicht sofort raus gehen und was essen, fall ich hier neben dem Engel ins Koma.“ Zögernd willige ich ein. Allerdings liegen vor dem Ausgang noch die Sakristei, der Kapitelsaal und der Kreuzgang der Kathedrale.

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Als wir noch benommen vom sakralen Kunstrausch wieder in die Welt hinaus treten, ist es mit kurz nach 19.00 Uhr immer noch zu früh für ein Abendessen. Daher retten wir uns vorerst mit einem Mandelriegel und steigen hinauf zur Aussichtsplattform der Burg. Über den Dächern von Burgos haben sich hier im Abendlicht zahlreiche Pilger versammelt, um Türme und Kuppeln der Kathedrale von oben zu bewundern und zu fotografieren. Neben uns steht eng umschlungen ein junges Paar, das sich offenbar auf dem Camino gefunden hat. Sie bitten uns, ein Foto von ihnen zu machen. „Mein Gott, sind die glücklich“, flüstert Cayetana neidisch. Vielleicht denkt sie in diesem Moment an Alejandro, den Radfahrer, an den Baigorri-Barmann oder an Javier den Gärtner. Es ist meine Pflicht, sie in diesem Moment ganz fest zu umarmen. „Beim nächsten Mal findest Du bestimmt auch jemanden“, tröste ich sie. „Und – wirst Du nächsten Sommer wieder nach Ibiza fahren oder hier mit mir weiter den Weg gehen?“ Sie wirft einen langen Blick auf die von der Abendsonne vergoldete Kathedrale und sagt dann: „Ich komme wieder mit. Was man angefangen hat, muss man auch zu Ende führen – das hast Du doch immer gesagt, Don Carmelo“.

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Lächelnd schaut sie nach Westen. In dieser Nacht hat Cayetana einen merkwürdigen Traum. Vor einer dunklen Brücke findet sie einen kleinen Stern aus Licht, sie hebt ihn auf, damit er ihr zur Überquerung der Brücke den Weg ausleuchtet. Auf der anderen Seite angekommen, blickt sie zurück und sieht, dass hunderte von Lichtsternen eine strahlende Spur über die Brücke ziehen.

 

Tipps und Links:
Etappe von Agés nach Burgos: ca. 24 Km
Unterkunft in Burgos:
Städtische Pilgerherberge, Calle Fernán González 28 – 32, direkt am Camino, kurz vor San Nicolás und Kathedrale, Tel. 947-460922: modern, groß und zentral, Waschmaschine, Trockner, Küche, Internet. Übernachtung 5 Euro.

Wer in der schönen Stadt Burgos länger als 1 Tag bleiben und / oder komfortabler übernachten will, dem sei folgendes Hotel empfohlen:
Hotel „Abadía – Camino Santiago“, C. Villadiego 10, Tel. 947-040404, email: reservas@hotelabadiacaminosantiago.com website: www.hotelabadiaburgos.com
Modernes 3-Sterne Hotel, ideal für einen „Pausentag“, direkt am Camino de Santiago am Ortsausgang von Burgos gelegen (das hat den Vorteil, dass man beim Start früh morgens schon nach ein paar Minuten die Stadt hinter sich lassen kann und dabei einen „Vorsprung“ vor den Pilgermassen hat, die zur gleichen Zeit im Ortszentrum aufbrechen). Freier Internetzugang, kleine Bar im Eingangsbereich. Übernachtung (ohne Frühstück, verschiedene Zimmertypen): zwischen 40 und 65 Euro.

Verpflegung in Burgos:
Restaurant „GAONA“, C. Paloma 41 (rechts hinter dem Kathedralenplatz), Tel. 947 279612. Authentisch, immer voll, tüchtige Bedienung. Sehr gutes Menü für 12 – 15 Euro (3 Gänge plus 1 Flasche Wein, sehr zu empfehlen: zarte Lammhaxe, hausgemachter Flan-Pudding, Rotwein der Region Ribera del Duero)

„Abadengo“, C. Alfonso VIII Nr. 39, Tel 947-206326, direkt am Kloster Las Huelgas Reales, Tagesmenü 11 Euro, Grillspezialitäten.

„Confitería Alonso“, an der Plaza Mayor, mit Seiteneingang an der Uferpromenade Paseo de Espolón, einer der traditionsreichsten „Törtchentempel“ von Burgos

Souvenirs:
„EL PEREGRINO“
Pza. del Rey San Fernando, 1
09003 BURGOS – Burgos
Schmuck aus Keramik mit Motiven der Kathedrale von Burgos, z.B. Fensterrosen als Amulett und Ohrringe: www.kimuceramica.com

Kirchen:
Kathedrale Santa María in Burgos: www.catedraldeburgos.es/
Geöffnet: Di. – So. 9.30 – 19.00 (schließt im Winter eine Stunde früher!, die Capilla del Cristo de Burgos und die Capilla de Santa Tecla sind oft für Besichtigung geschlossen) Eintritt: 7 Euro, für Pilger die Hälfte.

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Cartuja de Miraflores (Kartäuserkloster): www.cartuja.org
Großartige spätgotische Klosterkirche (15. Jh.) ca. 4 Kilometer außerhalb südöstlich von Burgos, ebenso wie der größte Teil der Kathedrale erbaut von Johann von Köln und Simon von Köln, mit zahlreichen Kunstschätzen: wunderbarer spätgotischer Hochaltar von Gil de Siloe mit Schwindel erregendem Detailreichtum, ebenfalls vom genialen Gil de Siloe sind die königlichen Grabmäler aus Alabaster, mit Löwen, die dem Betrachter die Zungen herausstrecken: Zudem filigranes Chorgestühl, beeindruckende Statue des Heiligen Bruno vom Barockbildhauer Manuel Pereira und im Museum zahlreiche Gemälde und Skulpturen. Eintritt frei, Spenden willkommen. Geöffnet: Mo. – Sa. 10.30 – 15.00 und 16.00 – 18.00, sonntags 11.00 – 15.00 und 16.00 – 18.00. Sonntagsmessen um 10 und 15 Uhr

Kloster Las Huelgas Reales
Monumentale frühgotische Klosterkirche des Zisterzienser-Ordens im Westen von Burgos mit zahlreichen Königsgräbern und romanischem Kreuzgang, leider nur mit Führung zu besichtigen und strenges Foto-Verbot. Eintritt: 5 Euro. Geöffnet: Di. – Sa. 10.00 – 13.00 und 16.00 – 17.30, sonntags 10.30 – 14.00, Mo. geschlossen

Kirche San Nicolás
Spätgotische Kirche schräg gegenüber der Kathedrale, schöner spätgotischer Hochaltar aus Alabaster. Geöffnet: Di. – Sa. 12.00 – 13.30 und 17.00 – 19.00 (davor und danach Messen), sonntags nur zu den Messen

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Kirche San Gil
Die vielleicht schönste Pfarrkirche von Burgos, spätgotisch mit schönen Hochaltären, meist nur zu den Messen geöffnet