Addys Mercedes trifft Peru 70’s (12/2014)

Wer dem Winter, zumindest akustisch, entfliehen möchte, dem sei das neue Album von Addys Mercedes empfohlen. Auch sie hatte eine Winterflucht im Sinn als sie den gleichnamigen Titel ihres Albums „Locomotora A Cuba“ schrieb: „Ich träume sehr oft nach Kuba zu gehen, ohne fliegen zu müssen. Deswegen habe ich meine Lokomotive in meinem Kopf entwickelt, und wenn mir zu kalt hier wird, nehme ich meine Lokomotive und fahre nach Kuba.“ In diesen Zug, der zwischen europäischen und kubanischen Städten hin- und hersaust, hat die in Essen lebende Sängerin alle Dinge hineingepackt, die sie aus ihrer Heimat vermisst: z.B. typische Speisen, Tänze, Domino spielende Männer etc.

Locomotora a Cuba
Addys Mercedes
Media Luna (Indigo)
ASIN: B00MRHLLT8

Die thematische und musikalische Bandbreite des Albums überrascht: vom nachdenklichen Stück über vom Vater verlassene Kinder („Querer de segunda mano“) über eine Folk-Ballade mit nostalgischen Geschichten aus ihrer Heimatstadt Moa („Ahí“), Latino-Poprock („No queda nada“) und eine vertonte Fabel von der Biene und dem Fuchs ((„Moraleja de zorra y abeja“) bis zur Ballade über das Schicksal eines schwarzen Sklaven („Negrito congo“) ist alles vorhanden.

Komplexe Arrangements wechseln sich ab mit eingängigen Popmelodien. Die tanzbare Singleauskopplung „Rompe el caracol“ ist eine Aufforderung ans Publikum, sich zu bewegen. Das Stück entstand, weil ihr deutsches Publikum zwar sehr gut zuhören kann, sich aber nicht traut zu tanzen: „Das habe ich so oft erlebt und ich habe mir schon Gedanken darüber gemacht. Und dann kam diese Idee für dieses Lied ‚Komm aus deinem Schneckenhaus‘, damit die Leute ein bisschen den Moment genießen, weil das Leben einfach so kurz ist.“ Wie ein roter Faden zieht sich die Sehnsucht nach Kuba durch die Eigenkompositionen von Addys Mercedes, sei es im nostalgischen „Mi carrito de cartón“ über ein Kinderspielzeug oder im traurigen Gesangsstück „Atrapa los sueños“ über eine Abreise (aus Kuba). Mir persönlich gefällt es, schützt es doch vor inhaltlicher Verflachung, die wir derzeit bei einigen anderen kubanischen Sängern erleben.

Im Jahr 1968 übernahmen mit einem Staatsstreich junge, eher linksgerichtete Militärs in Peru die Regierung, die einen Mittelweg zwischen Kapitalismus und Kommunismus ausprobieren wollten. Neben einer Nationalisierung bestimmter Industrien und dem Ausbau des Bildungswesens kam es auch zu einer Aufwertung des indigenen Erbes sowie zu einer zunächst liberaleren (Kultur-)Politik, die trotz der Abneigung gegenüber dem Kulturimperialismus der USA den Zufluss von angloamerikanischer Musik erleichterte. Doch schon bald (ab Ende 1969) kam es auch gegen moderne, junge Musiker zu Repressionen, ein weiterer Putsch setzte dem Experiment 1975 ein Ende, bis Peru 1980 zur Demokratie zurückkehrte.

Peru Bravo
Diverse
Tigers Milk (Alive)
ASIN: B00LMPG10U

Neben dem Label „Vampi Soul“ veröffentlicht nun auch „Tiger’s Milk Rec.“ Retro-Musik aus Peru. Der peruanische Starkoch Martin Morales und seine Label-Kollegen haben auf ihrem 2. Release „Peru Bravo“ den Schwerpunkt auf psychedelischen Rock, Funk- und Soultitel aus den Jahren 1968-74 gelegt, nachdem sie auf „Peru maravillosa“ (siehe caiman 01/2014) schon die eher lateinamerikanischen Klänge dieser Zeit präsentierten. Latin-Rock à la Santana war schwer angesagt zu dieser Zeit – seine geplante Tournee nach Peru wurde allerdings von der Regierung ohne Angabe von Gründen abgesagt – was man gut hört z.B. bei „Outasite“ von Thee Image, einem percussionlastigen auf englisch gesungenen Titel, oder bei der bekanntesten Band aus dieser Epoche, Traffic Sound, die die erste LP mit 100% peruanischem Rock einspielte.

Eher aus der Soul-Funkrock-Ecke kommen Los Holy’s, die mit „Cissy Strut“ eine gelungene und schnellere Latin-Rock-Coverversion des gleichnamigen Instrumental-Hits der US-Funk Band The Meters vorlegen, sowie die Band Black Sugar oder Jean Paul „El Troglodita“, dessen Aufnahme hier allerdings in den Höhen stark verzerrt klingt. Los Belking’s, die immer noch aktiv sind und denen das Label „Nuevos Medios“ im Jahr 2003 schon eine Wiederveröffentlichung gewidmet hat, sind mit einem Instrumental vertreten, in dem sich funky Bläsersätze und Hammondorgel ausgewogen abwechseln, absolut tanzbar. Die „Psycho-Fraktion“ wird von der auch überregional erfolgreichen Band Laghonia mit ihrem Garagensound angeführt, mit einem Latin-Rock-Titel von Telegraph Avenue weitergedreht, dessen Mittelteil klingt wie „Die Internationale“ auf Quechua(?) und endet schließlich in zwei Coverversionen – Steppenwolf’s „Sookie“ mit Latin-Einfluss und Jimi Hendrix’s „Hey Joe“ mit Percussion und spanischem Text (m.E. der beste Titel des Albums) sowie dem Titel „El sermón“ von Los Comandos, der Latin-Rock mit einem jazzig-psychedelischen Flötensolo verbindet. Absolut empfehlenswert!

Cover: amazon